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geschaffen. Die Zahl der Nahrungsmittelchemiker hat sich seither entsprechend der ständig angewachsenen Zahl der Nahrungsmitteluntersuchungsanstalten erheblich vermehrt und hat sich im Laufe der Zeit durch seine rege Betätigung nicht nur große Verdienste um die Nahrungsmittelüberwachung, sondern auch mittelbar und unmittelbar um die Nahrungsmittelindustrie erworben. Die hier erreichten Erfolge sind um so höher anzuschlagen, als die zur Ausübung der Nahrungsmittelüberwachung berufenen Sachverständigen zunächst eigentlich einer völlig neuen und nicht übersehbaren Aufgabe gegenüberstanden.

Verdienste der Chemie.

Brauchbare Verfahren zur Untersuchung der Nahrungs- und Genußmittel waren nur wenig bekannt. Es hatte bis dahin an einer Veranlassung dazu gefehlt, sich planmäßig um die durchschnittliche Zusammensetzung der Lebensmittel zu kümmern und den Verfälschungen nachzugehen, die an den Nahrungs- und Genußmitteln seit alter Zeit vorgenommen wurden oder die auch neu auftauchten. Von grundlegender Bedeutung wurden daher sowohl für die Nahrungsmittelüberwachung wie für die Nahrungsmittelindustrie J. Königs Arbeiten, die in seiner „Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genußmittel“ zusammengefaßt wurden und die zum ersten Male den Versuch machten, ein Bild von der Zusammensetzung natürlicher und nicht verfälschter Nahrungsmittel zu geben. Wenn sich auch deren Zusammensetzung als innerhalb gewisser Grenzen schwankend ergaben, so zeigten sich doch diese Grenzen nicht so weit gezogen, daß es nicht möglich gewesen wäre, wenigstens in vielen Fällen auf Grund der Analyse festzustellen, ob ein Nahrungsmittel der durchschnittlich anzunehmenden Zusammensetzung entspreche oder ob es so weit davon abweiche, daß eine Verfälschung als vorliegend vorausgesetzt werden müsse. Es kam nun vor allem auf die Untersuchungsverfahren an. Denn man überzeugte sich sehr bald, daß hier noch viele Arbeit zu tun notwendig war. Um die Erledigung dieser Arbeit haben die in die Praxis der Nahrungsmittelüberwachung eingetretenen Chemiker sich ein großes Verdienst erworben, abgesehen davon, daß ein jeder Fortschritt der allgemeinen und der analytischen Chemie auch eine Einwirkung auf die weitere Entwicklung der Nahrungsmittelanalyse ausübte.

Amtliche Vorschriften.

Man kam aber sehr bald zu der Einsicht, daß es mit der Ausarbeitung einzelner Untersuchungsverfahren allein nicht getan sei. Die Sachverständigen wichen nicht gar selten in bezug auf die Auswahl der zur Anwendung zu bringenden Untersuchungsverfahren wie auch bei ihrer Auslegung voneinander ab, sei es, daß die Fragen überhaupt strittig waren, oder daß eine nicht immer gleich umfangreiche und gut begründete Erfahrung zu diesen Unstimmigkeiten führte. Es liegt aber auf der Hand, daß solche Widersprüche der Sachverständigen zur Klärung des Tatbestandes vor dem Strafrichter nicht führen konnten, und daß sie überdies für die Nahrungsmittelindustrie wie auch für die Gutachter selbst zu großen Unzuträglichkeiten führen mußten. Man ging deswegen dazu über, für die Untersuchung der Nahrungsmittel in verschiedenen Fällen nach Anhörung von Sachverständigen Vorschriften

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/198&oldid=- (Version vom 20.8.2021)