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Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/201

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Je mehr die Bevölkerung anwächst und je mehr es notwendig wird, Nahrungsmittel jeglicher Art in Zeiten des Überflusses für die Zeiten des Mangels aufzubewahren, um so dringlicher wird auch die Frage, in welcher Weise die Lebensmittel am besten vor dem vorzeitigen Verderben zu schützen sind. Daß die Lösung dieser Frage auch für das Heer und die Marine in Friedens- wie in Kriegszeiten, sowie auch für wissenschaftliche Forschungsreisen, für die Verpflegung von Unterrichts-, Kranken- und Gefangenenanstalten und in zahlreichen anderen Fällen von Bedeutung ist, bedarf keiner besonderen Ausführung. Daher hat man sich von jeher auch um die Lösung dieser Frage bemüht.

Kälteindustrie.

Einen sehr wichtigen Fortschritt verdankt man hierbei der Entwickelung der Kälteindustrie, die es heute ermöglicht, in Kühl- und Gefrieranlagen Nahrungsmittel jeglicher Art längere Zeit hindurch unverändert aufzubewahren.

Chemische Konservierungsmittel.

Aber hiermit allein ist es noch nicht getan. Es gibt viele Fälle, in denen die Anwendung niederer Wärmegrade oder auch andere, seit alter Zeit geübte Verfahren zur Erhaltung der Lebensmittel, wie Erhitzen auf bestimmte Wärmegrade, Räuchern, Pökeln u. dgl. m., nicht ausreichen und wo man daher zu den chemischen Konservierungsmitteln gegriffen hat.

Der Anlaß hierzu ist nicht zuerst durch die Entwicklung der bakteriologischen Forschung gegeben. Schweflige Säure hat man z. B. schon in alten Zeiten zum Reinigen der Weinfässer, durch Ausbrennen mit Schwefel und damit zum Schutz des Weines vor dem Verderben benutzt. Aber eine neue Anregung zur ausgedehnteren Verwendung der chemischen Konservierungsmittel wurde doch durch die Bakteriologie gegeben, nachdem diese gelehrt hatte, daß die Bakterien und andere kleine Lebewesen, die auch die Lebensmittel zu verändern oder zu zersetzen imstande sind, unter der Einwirkung gewisser chemischer Stoffe, z. B. Salizylsäure, Borsäure, schweflige Säure und andere Stoffe mehr, abgetötet werden. Von der Annahme ausgehend, daß diese Konservierungsmittel, wenigstens in kleinen Mengen genossen, dem Menschen nicht schädlich seien, versuchte man sie zur Frischerhaltung vornehmlich von Fleisch und Fleischwaren, von Fetten, Fruchtsäften und anderen Zubereitungen zu verwenden. Die Frage, ob dies zulässig sei, kam beim Erlaß des Schlachtvieh- und Fleischbeschaugesetzes zum Austrag. Auf Grund eingehender sachverständiger medizinischer Gutachten wurde die Verwendung einer Anzahl dieser Stoffe, insonderheit auch der Salizylsäure, Borsäure, schwefligen Säure und ihrer Salze bei der Zubereitung von Fleisch, Fleischwaren und Fetten verboten und damit auch die weitere Verwendung dieser Mittel bei der Herstellung anderer Nahrungs- und Genußmittel wenn auch nicht förmlich, so doch tatsächlich so gut wie unmöglich gemacht.

Vom gesundheitlichen Standpunkte aus war dieses Verbot mit großer Freude zu begrüßen, zumal nachgewiesenermaßen auch in manchen Fällen ein unverantwortliches Übermaß jener Stoffe bei der Zubereitung der Nahrungsmittel verwendet war.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/201&oldid=- (Version vom 20.8.2021)