Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2 | |
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dazu übergingen, auch rein pflanzliche Margarine, d. h. der Butter ähnliche Speisefette nur aus pflanzlichen Fetten und Ölen herzustellen.
Aber nicht nur durch die gesteigerte Verarbeitung in der Margarineindustrie ist die Nachfrage nach pflanzlichen Fetten und Ölen ständig gewachsen, sondern auch dadurch, daß der Verbrauch dieser Fette zur unmittelbaren Verwertung bei der Zubereitung von Speisen stetig zugenommen hat. Als Gründe dieser Erscheinung können das Anwachsen der Bevölkerung, das Steigen der Preise für tierische Fette und die gute Beschaffenheit angeführt werden, in welcher die pflanzlichen Fette heute zu einem verhältnismäßig billigen Preise in den Handel gebracht werden.
Auch die Zollverhältnisse spielen hierbei eine Rolle. Das Olivenöl geht, wenn es rein, d. h. unverfälscht ist, nach dem Zolltarifgesetz vom 26. Dezember 1902, zollfrei ein, während die übrigen fetten Öle einer verschieden hohen Verzollung unterliegen.
Auch die Ölfrüchte und Ölsämereien sind teils zollfrei, teils unterliegen sie einem nur niedrigen Zollsatz. So sind zollfrei die für die Ölgewinnung besonders in Betracht kommenden folgenden Rohstoffe: Baumwollsamen, Kopra, Palmkerne und Sojabohnen, welche letztere in neuerer Zeit anfangen eine größere Bedeutung zu gewinnen. Andererseits unterliegen Erdnüsse und Sesamsamen einer Verzollung von 2 Mk. für 1 Doppelzentner. Diese Umstände haben dazu geführt, daß sich namentlich seit dem Inkrafttreten des neuen Zolltarifes (1. März 1906) in Deutschland die mit der Gewinnung fetter Öle sich beschäftigende Industrie immer weiter entwickelt hat und heute bereits einen wesentlichen Einfluß auf den Pflanzenfettmarkt ausübt. Diese Entwickelung der einheimischen Ölindustrie ist daher in wirtschaftlicher Hinsicht von großer Bedeutung geworden.
Gehärtete Fette.
Die Verhältnisse auf dem Fettmarkt sind gegenwärtig durch die Härtung der Fette in einer vollständigen Umwälzung begriffen. Bei der Erörterung der Versorgung des Nahrungsmittelgewerbes mit den nötigen Fettmengen und ihrer Verarbeitung zu gebrauchsfertiger Ware muß daher auch der Gewinnung der gehärteten Fette und ihrer Bedeutung für die Nahrungsmittelversorgung einige Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Es ist bekannt, daß die natürlichen tierischen und pflanzlichen Fette bei gewöhnlichen Wärmegraden eine sehr verschiedene Beschaffenheit zeigen. Teils sind sie fest wie Rindertalg, teils salbenartig wie Butter oder Schmalz, teils flüssig wie Walfischtran, Olivenöl, Baumwollsamenöl oder andere pflanzliche fette Öle. Zur unmittelbaren Ernährung finden die festen Fette seltener Anwendung als die salbenartigen oder flüssigen Fette. Aber die festen Fette sind unentbehrlich für die Herstellung der Margarine und sie finden vor allem bei der technischen Verarbeitung der Fette zur Herstellung von Seifen und von Kerzen ausgedehnte Verwendung.
Der hierdurch bedingten starken Nachfrage nach festen Fetten, vornehmlich nach Rinder- oder Hammeltalg, vermag aber das Angebot in den letzten Jahren immer weniger zu genügen. Infolgedessen sind die Preise dieser Fette ständig in die Höhe gegangen und alle die Fette verarbeitenden Gewerbe sind zeitweilig bei der Beschaffung ihrer wichtigen Rohstoffe in große Verlegenheit gekommen.
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/204&oldid=- (Version vom 20.8.2021)