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der Ausbau dieser Steuern als Landessteuer war in Preußen selbst so gut wie ganz unterlassen worden. Unter den schwierigen und nachteiligen Folgen hiervon hat die Periode nach 1888 bis zur Gegenwart, und je mehr man sich dieser näherte, um so stärker, zu leiden gehabt.

In dieser Periode seit 1888 und besonders seit 1890 waren somit manche schon frühere Aufgaben in der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik, dann aber auch manche neue Aufgaben, welche die Entwicklung von Volks-, Staats- und Wirtschaftsleben mit sich brachte, vorhanden. Daß dies allmählich erkannt und doch schließlich im ganzen die richtigen Mittel und Wege zur Erfüllung aller dieser Aufgaben ergriffen wurden, wird ein objektiver Beurteiler anerkennen müssen, auch ein solcher, der damit nicht alles Geschehene − und ebenso nicht alles Unterbliebene und zu lang Unterbliebene − ohne weiteres für richtig hält. Im ganzen ist das 1879 begründete Schutzzollsystem für Landwirtschaft und Industrie nach der früher erwähnten Schwankung in der ersten nachbismarckschen Zeit aufrecht erhalten, ausgebaut und befestigt und in geeigneten Fällen durch Handels- und Tarifverträge ergänzt worden. Ob einzelne Zollpositionen in Agrar- und Industriezöllen zu hoch oder zu niedrig und noch nicht überall ausreichend systematisch durchgebildet sind, ob das Verfahren mit den Ausfuhrvergütungen und Einfuhrscheinen ganz passend geordnet ist und nicht einzelne unerfreuliche Nebenwirkungen finanzieller und wirtschaftlicher Art mit sich führt, mag dahingestellt bleiben; ebenso, ob nicht, sei es autonom, sei es im Wege von Handels- und Tarifverträgen, einzelne Zollpositionen von Finanzzöllen und von Schutzzöllen eine Änderung erfahren könnten, und zwar bei der heute erreichten hohen Entwicklung unserer Industrie mehr als auf dem Gebiet der Agrarzölle, durch Ermäßigung oder Beseitigung der industriellen Schutzzölle − indessen auch bei den Agrarzöllen etwa auf dem Gebiet der Futtermittelzölle, aber nicht bei den anderen Getreidezöllen und den Fleisch- und Viehzöllen − das Alles sei hier ebenfalls nur als diskutable Frage hingestellt. Internationale Vereinbarungen, wie sie endlich über Zucker in der Brüsseler Konvention unter einer Reihe der wichtigsten Staaten gelungen sind, bildeten eine für Volkswirtschaft und Finanzen erfreuliche Regelung, wenn auch der jüngste Rücktritt besonders Englands von dieser Konvention wieder zeigt, auf welch’ schwankender Basis dergleichen immer noch beruht.

Das Deutsche Reich nimmt auf diese Weise in der auswärtigen Handels- und Zollpolitik doch im letzten Vierteljahrhundert und in der Gegenwart noch ebenso wie vor 1888 eine mittlere Stellung ein zwischen dem an Freihandel neben einigen sehr hohen Finanzzöllen festhaltenden Großbritannien, und Hochschutzzolländern, besonders auf industriellem Gebiete, wie den Vereinigten Staaten von Nordamerika und Rußland. Indem es an höheren Agrarzöllen festhält, hat es aber auch seine Landwirtschaft und ländlichen Grundbesitz nicht wie in England dem Industrie- und Handelssystem geopfert.

Einzelne wirtschafts- und sozialpolitische Probleme.

Allerdings sind durch unsere Handels- und Zollpolitik und durch das Festhalten an den Hauptpunkten der Gewerbefreiheit (wenn auch mit einigen Ausnahmen), der Aktien-Gesellschafts- und Börsenfreiheit, einige andere ernste Erscheinungen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/21&oldid=- (Version vom 14.2.2021)