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in großen, mittleren und kleineren Erwerbsgesellschaften in der Form von Aktien, Kommanditaktien und neuen Erwerbs-Gesellschaften m. b. H. konzentrierten und arbeitenden Privatkapitals. Durch Einrichtungen wie die preußische Zentralgenossenschaftskasse als Staatsinstitut ist die Stärkung des Genossenschaftswesens durch eine passende Form der Staatshilfe herbeigeführt worden. Aber, begünstigt noch durch die eigene Technik gewisser modernen allgemeineren Großbetriebstendenzen, ist doch bei der Schrankenlosigkeit hinsichtlich der Größe, Anlageart und geschäftlichen Verwendung des Privatkapitals in einzelnen Unternehmungen, wie Banken, Versicherungsanstalten, Bergwerken, Fabriken, Handelsunternehmungen selbst für das Detailgeschäft (Warenhäuser!) das Großkapital, das des einzelnen Privaten und das der Kapitalassoziation, auf dem Boden unseres Privat-, Handels-, gewerblichen und merkantilen Verwaltungsrechts in der Übermacht und Vorherrschaft geblieben und zu weiterer und stärkerer Entwickelung gekommen. Durch die Festhaltung und den Ausbau des staatlichen Forstwesens und Bergbaus, vor allem des öffentlichen Verkehrswesens, des Post-, Telegraphen-, Telephon- und namentlich auch Eisenbahnwesens, ist den faktischen Monopolen der Privatwirtschaft und der Erwerbsgesellschaften zwar gerade in Deutschland und zumal in Preußen ein mächtiger Hinderungsriegel, mindestens ein starker Hemmschuh und Zügel verblieben. Zugleich haben diese Einrichtungen, vor allem das gewaltige Staatseisenbahnwesen, die sogenannten Verstaatlichungen von Wirtschaftsanlagen und -betrieben der Gemeinden in manchen Fällen in kleinerem Maße, das Gebiet der, rein privatwirtschaftlich-spekulativen Organisation der Aktien- und sonstigen Erwerbsgesellschaften zugunsten der gemeinwirtschaftlichen Organisation des öffentlichen Kapitals und öffentlichen Betriebes stark eingeengt. Die Taxe ist so an Stelle des Vertrags- und Konkurrenzpreises, der öffentliche Säckel an Stelle des bloß privaten als Bezugsberechtigter von Reinerträgen getreten. Der schon früher namentlich durch das Staatseisenbahnprinzip bestehende Unterschied der deutschen Verhältnisse gegenüber denen eines großen Teils des Auslands, besonders unserer Hauptkonkurrenten Großbritannien, Frankreich, Vereinigte Staaten, ist so zum Wohle der deutschen Volks- und Staatswirtschaft und Finanzen gerade im letzten Vierteljahrhundert noch bedeutender geworden. Trotzdem hat sich in dieser Zeit der allgemein privatkapitalistische Charakter der modernen Volkswirtschaft auch in Deutschland stark gesteigert und neben bekannten und anzuerkennenden günstigen doch manche sozial, finanziell, politisch, auch ethisch bedenkliche Folgen hervortreten lassen.

Arbeiterpolitik.

Speziell auf dem Gebiete der industriellen und montanistischen Arbeiterverhältnisse und in der allgemeinen Politik trat seit den letzten Jahren der vorausgehenden Periode der bedeutsamste Unterschied wohl darin ein, daß das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie fallen gelassen wurde, − ob mit Recht oder Unrecht, darüber waren und sind die Meinungen der Politiker vielfach geteilt, aber daß ein derartiges Ausnahmegesetz, mindestens in dieser Form und mit seinen Spezialbestimmungen, kein dauernder Bestandteil der deutschen Rechtsordnung bleiben konnte, wird doch auch von andersdenkenden Politikern nicht leicht völlig bestritten werden können. Auch die neben der Arbeiterversicherung zurückgebliebene

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/23&oldid=- (Version vom 14.2.2021)