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von zirka 107 Mill. Mark jährlich, in der zweiten von 86 Mill. Mark. Zergliedern wir diese Zahlen in Einfuhr und Ausfuhr, so zeigt sich die folgende Entwicklung:

  Einfuhr   Ausfuhr
1872 3464,6 2492,2
1879 3888,1 2820,8
1891 4403,4 3339,8

Die Einfuhr hat sich mithin in der ersten Periode durchschnittlich um 61, in der zweiten um 43 Mill. Mark jährlich vermehrt. Bei der Ausfuhr ergeben sich für die erste Periode 47, für die zweite 43 Mill. Mark[1].

Es zeigt sich somit, daß die Intensität des Außenhandels nach dem handelspolitischen Umschwung im Jahre 1879 zurückgegangen ist; am auffallendsten tritt dies bei der Einfuhr in die Erscheinung. Das damals im Auge gehabte Ziel, eine Verringerung der Einfuhr herbeizuführen, ist also erreicht worden, gleichzeitig freilich auch die nicht gewollte Verlangsamung in der Vermehrung der Ausfuhr in Kauf zu nehmen gewesen.

Die Caprivische Handelspolitik.

Als Kaiser Wilhelm II. 1888 die Regierung übernahm, war die letzte handelspolitische Aktion (der Tarif von 1887) eben beendet. Zu weiteren positiven Maßnahmen von größerer Bedeutung ist es dann zunächst nicht gekommen. Erst zu Anfang der 90iger Jahre setzt eine neue handelspolitische Ära ein: die Caprivische Handelspolitik, an deren Durchführung Kaiser Wilhelm II. bekanntlich den regsten Anteil genommen hat und die uns hier etwas eingehender beschäftigen muß.

Die im Jahre 1887 erfolgte Zollerhöhung auf agrarische Produkte war nicht ausschließlich durch die Lage der deutschen Landwirtschaft bedingt, sondern entsprang zum Teil der Auffassung Bismarcks, daß er gegenüber Rußland und Österreich, welchen Ländern die deutschen Tarifänderungen den Anlaß zu namhaften Erhöhungen der Zölle auf deutsche Industrieprodukte gegeben hatten, ein Kampfmittel in der Hand haben müsse. Die Anwendung dieses Kampfmittels führte freilich zu Mißerfolgen, da beide Staaten ihre bisherigen Maßnahmen nur verschärften und eine Verständigung nicht zustande kam. Ähnlich lagen die Verhältnisse in andern Ländern. Hierzu kam weiter, daß die europäischen Staaten in den achtziger Jahren ein umfassendes Konventionaltarifsystem geschaffen hatten, das die Bedingungen des gegenseitigen Güteraustausches für längere Zeit festlegte. Deutschland hatte infolge seiner autonomen Handelspolitik an diesem Vertragssystem nur in ganz bescheidenem Umfange teilgenommen (Spanien, Italien, Griechenland); es regelte seine Handelsbeziehungen durch bloße Meistbegünstigungsverträge. Hierdurch behielt es für seine eigenen Maßnahmen freie Hand, während es gleichzeitig


  1. Bei der Würdigung dieser Zahlen ist zu beachten, daß sie auf absolute Zuverlässigkeit keinen Anspruch machen können, denn fast gleichzeitig mit der Einführung des Zolltarifgesetzes von 1879 wurde eine tiefeinschneidende Änderung der deutschen Handelsstatistik vorgenommen. Das „Gesetz vom 20. Juni 1879 betreffend die Statistik des Warenverkehrs des deutschen Zollgebietes mit dem Ausland“ führte vor allem zu einer schärferen Erfassung der Ausfuhr, die bis 1879 nicht annähernd vollständig nachgewiesen war. Ein erheblicher Teil der in jener zweiten Periode ermittelten Steigerung der Ausfuhrziffern ist hierauf zurückzuführen, so daß die verringerte Ausfuhrintensität stärker ist, als es nach den obigen Zahlen den Anschein hat.
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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/247&oldid=- (Version vom 20.8.2021)