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dieser Entwicklung nicht stärker beteiligt sind als die übrigen Länder in ihrer Gesamtheit. Der Anteil der Tarifstaaten betrug nämlich:

  Einfuhr Mill. Mark   Ausfuhr Mill. Mark
1894 1643,9 = 38% 1060,5 = 34%
1905 2684,4 = 36% 1923,5 = 33%

Dabei ist aber zu beachten, daß in den hier zum Vergleich stehenden 12 Jahren der Außenhandel Deutschlands mit den überseeischen Ländern sich stark entwickelt hat und so das Gesamtbild sich verschiebt. Diese Möglichkeit der Pflege eines erweiterten Marktes ist im übrigen mitbedingt gewesen durch die langfristig geregelten handelspolitischen Verhältnisse in den hauptsächlichsten Ländern Europas, die hier ein verhältnismäßig stetiges Geschäft sicherten und demgemäß Kraft und Kapital für weitere Expansionstätigkeit freimachten. Endlich ist zu bedenken, daß es sich bei mehreren der Tarifsvertragsländer um Volkswirtschaften mit stark zunehmender Industrie handelt, denen gegenüber schon die Erhaltung der proportionalen Ausfuhrsteigerung ein Erfolg ist. Jedenfalls kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Ausfuhrbeziehungen zu jenen Vertragsländern bei Fortdauer der handelspolitischen Zustände, wie sie vor der Ära Caprivi bestanden, schweren Erschütterungen unterworfen gewesen wären und nicht annähernd die gleiche Entwicklung genommen hätten. Dies fällt um so mehr ins Gewicht, als es sich bei den Tarifvertragsländern etwa um die Hälfte der gesamten Ausfuhr Deutschlands nach dem europäischen Ausland handelt.

Wirkung auf die Landwirtschaft.

Eine tiefergreifende Analyse des deutschen Außenhandels soll weiter unten gegeben werden. An dieser Stelle möge zunächst die Wirkung der Caprivischen Handelsverträge auf die Landwirtschaft kurz zur Darstellung kommen. Ausgangspunkt sei die Preisentwicklung für Getreide. Wie bereits bemerkt, kostete der Weizen in Berlin 1891: 224 M., der Roggen 211 M. per Tonne. Diese Preise gingen in den nächsten Jahren rapid herunter. Weizen stand im Jahre 1894 auf 136, Roggen auf 118 M. (Berlin). Mithin innerhalb von drei Jahren ein Preissturz von 88 bezw. 93 M. Es bedarf keines Wortes der Erklärung, daß die am Körnerbau interessierte Landwirtschaft hierdurch in eine schwere Krisis geriet. Es fragt sich nun, inwieweit diese Verhältnisse auf die Caprivische Handelsvertragspolitik zurückzuführen waren. Der Preissturz bewegte sich zwischen 88 und 93 M. Der Zoll war aber nur um 15 M. herabgesetzt worden. Nehmen wir den Fall, die Handelsverträge wären damals auf der Basis des Tarifes von 1887, also mit 5 M. Zoll abgeschlossen worden, so wäre vermutlich irgendwelche nennenswerte Opposition nicht erfolgt, denn die Gegner der Caprivischen Politik forderten vornehmlich die Beibehaltung des Tarifes von 1887. Der Preissturz wäre dann aber nicht minder krisenhaft gewesen, da er sich – vorausgesetzt, daß die Zölle volle Wirkung gehabt hätten – immer noch zwischen 73 und 88 M. bewegt hätte. Es ist deshalb durchaus unberechtigt, den großen Preissturz seit 1891 der Caprivischen Politik zuzuschreiben. Er war vielmehr in den allgemeinen Weltmarktpreisen begründet und wurde durch die Ermäßigung der deutschen Zölle nur etwa zu einem Sechstel herbeigeführt. Hätte man

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/252&oldid=- (Version vom 20.8.2021)