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deren zwei die beteiligten Länder stellen, während der dritte (als Obmann) ein Angehöriger eines befreundeten Staates ist, der von beiden Kontrahenten gewählt wird.

Der für die Landwirtschaft in Aussicht genommene höhere Schutz.

In der den neuen Verträgen seitens der Regierung beigegebenen Denkschrift war ausdrücklich zugegeben, daß bei dem Abschluß „in erster Linie das Bestreben maßgebend gewesen sei, den für die Landwirtschaft in Aussicht genommenen höheren Schutz tunlichst aufrechtzuerhalten“. Hierdurch sei es unmöglich gemacht worden, für die gewerbliche Ausfuhr diejenigen Zugeständnisse zu erhalten, „auf die wir andernfalls vielleicht hätten rechnen können“. Das entsprach den Tatsachen. Die Vertragsstaaten hatten nicht nur die Minimalhöhe für Getreide akzeptiert, sondern auch die im Tarif vorgesehenen sonstigen landwirtschaftlichen Zölle im wesentlichen angenommen. Diese Zugeständnisse waren aber nur gegen schwere Opfer erreicht worden. Die meisten der Kontrahenten (Rußland, Österreich-Ungarn, die Schweiz, Rumänien) hatten sich für die Verhandlungen gleichfalls mit ansehnlichen Tariferhöhungen „vorbereitet“, die nun zum größten Teile von Deutschland hingenommen werden mußten. Die künftige Ausfuhr von deutschen Fabrikaten und Halbfabrikaten in die Vertragsländer war dadurch außerordentlich erschwert, so daß der erhöhte Schutz der Landwirtschaft tatsächlich auf Kosten der am Export interessierten Industrie vorgenommen wurde. Man hoffte allerdings durch die gleichzeitig erfolgte Erhöhung der eigenen Industriezölle ein Äquivalent zu schaffen, das ausgleichend wirkte. Immerhin war mit einer Erschwerung des Verkehrs zwischen den Vertragsländern auf jeden Fall zu rechnen, so sehr sich im übrigen die Wirkung solcher „Rückversicherung“ zunächst der zuverlässigen Beurteilung entzog.

Die neuen Verträge wurden im Reichstag sämtlich angenommen. Es stimmte auch ein erheblicher Teil derjenigen Abgeordneten für sie, die erbitterte Gegner des Tarifs gewesen waren. Es geschah dies mit der Motivierung, daß ein noch so schlechter Vertragszustand einem vertragslosen Zustand unter allen Umständen vorzuziehen sei. Die Verträge traten am 1. März 1906 in Kraft und gelten bis zum 31. Dezember 1917. Sie laufen von da ab mit einjähriger Kündigungsfrist für unbestimmte Zeit weiter. Nur in dem Vertrage mit Österreich-Ungarn ist mit Rücksicht auf den 1915 zu erneuernden Ausgleich zwischen beiden Ländern der 31. Dezember dieses Jahres als möglicher Endtermin vorgesehen.

Die übrigen handelspolitischen Beziehungen Deutschlands.

Bevor in eine grundsätzliche Würdigung dieses neuen Vertragswerkes eingetreten wird, seien noch die handelspolitischen Beziehungen Deutschlands zu den übrigen Ländern kurz dargestellt. Aus Raumgründen muß dabei die Beschränkung auf den gegenwärtig geltenden Zustand erfolgen.

Weitere Tarifverträge sind seitdem zustandegekommen mit Bulgarien (1905), Portugal (1910), Schweden (1911), Japan (1911), so daß z. Zt. insgesamt mit den folgenden

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/258&oldid=- (Version vom 20.8.2021)