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In neuerer Zeit aber hat innerhalb der Gesamtentwickelung des Warenhandels sich eine Richtung durchgesetzt, die nach entgegengesetzter Seite führt. Es zeigt sich hier wiederum die alte Wahrheit, daß die Vielgestaltigkeit des Lebens sich nicht in ein Schema pressen läßt. Der Faktor des stehenden Kapitals, der bisher vorzugsweise auf industriellem Gebiete seine Erzeugungskraft betätigt hatte, wurde auch für den Handel nutzbar gemacht, es entstanden die Riesenbetriebe der Warenhäuser. Die Zusammenfassung des Angebots aller möglichen Waren, wie sie in diesen Betrieben erfolgt, setzte die Herstellung großer Räumlichkeiten voraus, und das Bestreben, das Publikum dem jahrmarktsähnlichen Treiben geneigt zu machen, nötigte dazu, die Warenpaläste mit raffiniertem Glanz auszustatten. Da für die Beschaffung der festzulegenden Kapitalien die eigenen Mittel der Gründer oft nicht ausreichten, war das Hilfsmittel des Kredits in Anwendung zu bringen. Die Banken, die bis dahin ihre Hauptaufgabe gegenüber dem Handel in der Gewährung von Wechselkredit erblickt hatten, unterstützten die neue Bewegung durch Gewährung langfristiger Darlehen.

Aber die Warenhäuser bildeten nicht die einzige Klasse der Großdetailgeschäfte, die in der gesteigerten Verwendung stehenden Kapitals ein Mittel erblickten, die Kraft ihres Wettbewerbes zu stärken. Den gleichen Weg wandelten die großen Kaufhäuser, die sich als Spezialgeschäfte darstellen. Die Zahl der Spezialgeschäfte, die in Umfang und Pracht der Haus- und Ladeneinrichtung mit den Warenhäusern jeden Vergleich aushalten, ist heute recht erheblich. Allerdings ist zu beachten, daß die Verschiedenheit des Charakters der Spezialgeschäfte und der Warenhäuser, die unverwischbar bleibt, auch für die Art der Kapitalsverwendung Verschiedenheiten erzeugt. Es sei dies an zwei Punkten gezeigt.

Daß die Bedingung für die Rentabilität eines Warenhausbetriebes, der erstens mit großem Anlagekapital arbeitet und zweitens ein nahezu unbegrenztes Warensortiment führt, der Massenumsatz ist, bedarf keiner Bemerkung. Die Forcierung des Absatzes liegt im Wesen des Warenhauses; der Rücksicht auf sie müssen alle sonstigen Erwägungen weichen, und selbst der Grundsatz der Arbeitsteilung, der die moderne Wirtschaft beherrscht und deshalb im Warenhause bis zu einem gewissen Grade beachtet werden muß, beugt sich Einschränkungen. Hier liegt einer der Unterschiede zwischen den Warenhäusern und anderen Großbetrieben des Detailhandels. Auch bei letzteren sind die erwähnten Merkmale, große stehende Kapitalien und Massenabsatz, anzutreffen, indes haben alle Folgerungen, die aus dieser Verbreiterung des Betriebes zu ziehen sind, sich dem obersten Grundsatze unterzuordnen: der Spezialisierung. Ferner kommt folgendes in Betracht. Die gesteigerte Verwendung des Kapitals in Gestalt fester Anlagen betätigt sich auch darin, daß die großen Detailgeschäfte, mögen sie sich Spezialgeschäfte oder Warenhäuser nennen oder die Form der Konsumvereine wählen, oft über den Rahmen der reinen Handelstätigkeit hinausgehen und zur Eigenproduktion schreiten. In welchem Umfange aber eine solche Angliederung industrieller Tätigkeit erfolgt, wird durch Gesichtspunkte bestimmt, die bei Spezialgeschäften einerseits und Warenhäusern wie Konsumgenossenschaften andererseits verschieden sind. Während bei jenen der Grundsatz der Spezialisierung auch hier einschränkend wirkt, geht bei diesen die Grenze

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/293&oldid=- (Version vom 20.8.2021)