Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/298

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

hergestellt. Man wird diese Tatsachen immer wieder zu berücksichtigen haben bei der an sich gewiß berechtigten Forderung einer nationalen Bankpolitik. Einmal können die Banken den Aufgaben, die das Gesamtwirtschaftsleben der Nation an sie stellt, doch nur gerecht werden im Rahmen bankmäßiger Tätigkeit; sie dürfen sich nicht mit den fundamentalen Forderungen des Geschäftslebens in Widerspruch setzen. Die intensive und planmäßige Förderung der deutschen Industrie aber ist unbedingt nicht minder eine nationale Tat, als die Pflege des deutschen Exports und Imports und die Verdrängung der englischen und französischen Handelswelt aus der Vermittlerrolle zwischen Importeur und Exporteur in Deutschland. Gerade auf letzterem Gebiet haben unsere Banken, und vor allem die bedeutendste und größte, die „Deutsche Bank“, sich durch jahrelange Mißerfolge nicht abhalten lassen, sondern ihren Weg mit kraftvoller Entschlossenheit verfolgt. Man kann eben das deutsche Bankwesen nur begreifen und richtig beurteilen, wenn man es im Zusammenhange mit dem gesamten nationalen Wirtschaftsleben betrachtet, und gerade für die Periode unserer Berichterstattung ist es vielleicht angezeigt, auch durch einen kurzen Vergleich mit dem englischen und französischen Bankwesen den richtigen Standpunkt zu finden.

Vergleich mit dem englischen und französischen Bankwesen.

Es hat eine Zeit gegeben und sie liegt noch nicht allzuweit zurück, wo das englische Bank- und Kreditsystem als vorbildlich und nachahmenswert gepriesen wurde. Man ist hiervon allmählich mehr und mehr zurückgekommen. Bekanntlich besteht äußerlich in England eine scharfe Scheidung zwischen denjenigen Finanzinstituten, die sich mit dem laufenden Geschäft: Annahme von Depositen, Diskontierung von Wechseln und anderweitiger Kreditgewährung und den Instituten, die sich mit den Effekten-, Gründungs- und sonstigen Finanzierungsgeschäften befassen; es herrscht somit in England eine ziemlich streng durchgeführte Arbeitsteilung. Die Joint-Stock-Banken pflegen das Depositengeschäft; es sind zum Teil Institute größten Stils, die als Sammelbecken aller, auch der kleinsten unbeschäftigten Geldsummen dienen. Ihr Filialnetz ist ungeheuer ausgedehnt und erstreckt sich auf das ganze Land; einzelne der großen Londoner Banken haben 600 Filialen und darüber. An Gesamtdepositen haben sie jetzt über eine Milliarde Pfund Sterling und auch hinsichtlich des Kundenkreises sind sie ziemlich genau differenziert. Die einen arbeiten ausschließlich mit Großkaufleuten und der Hautefinance, andere mit den reichen Privatkapitalisten, wieder andere mit den Mittelklassen, und auch sachlich ist die Scheidung intensiv durchgeführt. Man kennt in England Banken für Reederei, für Export, Import, Kolonialartikel, für Rohprodukte, Handelsfabrikate, Edelmetalle und dergleichen mehr. Bei der Kreditgewährung kommen diese großen Finanzinstitute höchstens für ihre engste Kundschaft in Betracht; bei uns würde man sagen, daß sie mehr das passive als das aktive Kreditgeschäft pflegen. Ihre Gelder geben sie an die Diskonthäuser und an die Brokers weiter, die ihrerseits das Diskont- und Lombardgeschäft pflegen und deshalb als eigentliche Kreditvermittler anzusehen sind. Das Effekten-Kommissionsgeschäft wird in London durch die Stock-Brokers und Jobbers gemacht; die Broker für fremde Rechnung, die Jobber für eigene. Dem

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/298&oldid=- (Version vom 20.8.2021)