Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/300

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Bedürfnis nach vermehrten Zahlungsmitteln durch Vermehrung des Notenumlaufs nach, sobald der Metallvorrat stärker in Anspruch genommen wird. Frankreich sieht also die unbedeckte Banknote nicht als einen Übelstand an, was historisch zu erklären ist, weil die Bank von Frankreich seit ihrer Gründung durch Napoleon I. das Notenmonopol besaß, staatlich stets streng kontrolliert und deshalb vor den Gefahren einer zügellosen Notenausgabe weit mehr geschützt war. Eine gesetzliche Vorschrift für die Höhe der Notendeckung bestand in Frankreich überhaupt nicht; von Zeit zu Zeit wird nur der Höchstbetrag der ausgebbaren Noten fixiert. Die Zirkulation des Notenumlaufs wechselt in Frankreich stark, viel stärker als in England, weil in Frankreich die höheren Stufen der Zahlungsvermittlung, Scheck, Abrechnung, Giro nicht annähernd so entwickelt sind als in England, und weil infolgedessen im Falle des stark gesteigerten Wirtschaftsverkehrs die Noten neben dem Bargeld das alleinige Zahlungsmittel bilden. Auch sonst ist das Banksystem in Frankreich von dem englischen ziemlich wesentlich verschieden; die Arbeitsteilung ist dort nicht annähernd so fortgeschritten wie in England. Im Grunde ist nur der Crédit Lyonnais ausschließlich Joint-Stock-Bank geblieben, während sich die anderen großen Institute von der Industrie und überhaupt von dem Finanz- und Emissionsgeschäft nicht vollständig fernhalten. Ferner gibt es in Frankreich auch reine Effektenbanken, sogenannte Banques d’affaires, die fast gar nicht mit Depositen arbeiten, sondern mit eigenem Geld und in ihrer Geschäftstätigkeit mehr den englischen Merchants und Auslandsbanken ähneln. Besonders fällt aber auch auf, daß die großen Pariser Banken, ebenso wie die Bank von Frankreich, in viel stärkerem Maße dem mittleren und kleineren Geschäft Kredit geben. Im Jahre 1906 betrug der Durchschnitt des diskontierten Wechsels bei der Deutschen Bank 5363 M., dagegen beim Crédit Lyonnais etwa 625 M.; bei der Reichsbank 2066 M., bei der Banque de France 550 M. –

Das deutsche Banksystem.

Das deutsche System hält in vielen Dingen die Mitte zwischen englischem und französischem ein und hat sich in einzelnen Sparten ganz individuell entwickelt. Charakteristisch ist vor allem in Deutschland, daß sich die großen Institute an fast allen Arten des Bankgeschäfts beteiligen; sie sind zugleich Depositen-, Effekten- und Emissionsbanken haben Filialen und Zweigniederlassungen im In-und Auslande und dienen ebenso dem inneren Verkehr wie sie das Import- und Exportgeschäft vermitteln. Eine ganz besondere Eigentümlichkeit des deutschen Bankwesens im Vergleich zum englischen ist die enge Fühlung unserer Großbanken zur heimischen Industrie. Das gibt auch der Stellung der deutschen Banken zur Reichsbank die Richtung.

Und so ergeben sich wichtige Unterschiede. Bei der Vielseitigkeit der deutschen Banken ist vor allem die Pflege des Wechselkredits naturgemäß doch noch immer nicht so intensiv wie in England. Die Folge ist, daß in England die Kreditvermittlung durch die Zentralbank immer entbehrlicher und geringer wird, während bei uns die Reichsbank als Kreditgeberin erster Instanz noch eine außerordentlich erhebliche Rolle spielt. Bei uns sind ferner, wie wir sahen, die großen Banken nicht reine Depositenbanken; ihre Leiter behalten

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/300&oldid=- (Version vom 20.8.2021)