Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/305

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die der Kapitalserhöhung und der Angliederung von Unternehmungen. Die großen Banken begründeten Kommanditen und Filialen in der Provinz, indem sie sich bei bestehenden alten Bankgeschäften durch Kapitalseinlage beteiligten oder diese Geschäfte unter Übernahme ihres Kundenkreises in Filialen umwandelten. Häufig schritten auch die Banken zur Errichtung selbständiger Filialen an anderen Plätzen, wobei freilich immer eine gewisse Karenzzeit verging, bis diese ganz neuen Unternehmungen sich ein eigenes Geschäft von Bedeutung aufbauen konnten.

Banken und Industrie.

Auf die Entwicklung unseres Bankwesens hat das Verhältnis zur Industrie, das wir in dieser Form sonst nirgends finden, einen ganz wesentlichen Einfluß gehabt, zumal, wie wir sahen, gleichzeitig mit der Bankkonzentration auch die der Industrie große Fortschritte gemacht hatte. Bei der letzteren waren es hauptsächlich Rücksichten des Betriebes; die Industrie mußte sich an denjenigen Orten stark zusammendrängen, wo die Arbeitsverhältnisse und die Verkehrsbedingungen besonders günstig waren; die Konzentration wurde ferner bedingt durch eine, die billigere Produktion oder besseren Absatz fördernde Vereinigung von Betrieben. Alle die großen Transaktionen in der Montanindustrie, der elektrotechnischen, der chemischen Industrie und Reederei, aber auch in der Maschinenindustrie und in anderen Branchen, vollzogen sich unter dem maßgebenden Einfluß der deutschen Bankwelt, die sich durch Kreditgewährung, durch Übernahme von Aktien und Obligationen in stete enge Fühlung mit der Industrie gebracht hatte. Bei den Minen und Gegenminen, in den Kämpfen zwischen den großen Industriekonzernen und einzelnen Werken, bei denen auch mächtige Einzelfirmen hervortraten, finden wir fast immer die Männer der Hochfinanz in irgendeiner Form beteiligt oder führend, und es entstand aus diesen jahrelangen gemeinschaftlichen Arbeiten unter den leitenden Persönlichkeiten der Banken und der Industrie eine Art von Symbiose, die für die Gestaltung unseres ganzen Wirtschaftslebens entscheidend wurde. Es ging bei dieser Entwicklung nicht immer und überall friedlich und ruhig zu; des öfteren haben ziemlich erbitterte Kämpfe der einzelnen Banken und Bankgruppen um die Vorherrschaft in großen Industrieunternehmungen stattgefunden, aber in den letzten Jahren ist im allgemeinen eine ziemlich reinliche Scheidung eingetreten, und die verschiedenen Konzerne haben sich abgegrenzt und kristallisiert.

Es kann heute, wo die Konzentrationspolitik noch Gegenwartsgeschichte ist, füglich noch nicht entschieden werden, ob diese ganze Bewegung, die übrigens mehr oder minder stark sich überall in der Welt geltend gemacht hat, nur Vorteile mit sich bringt oder auch von Nachteilen begleitet ist. Einzelne Vorteile springen ohne weiteres in die Augen; die Möglichkeit, in den starken und mächtigen Konzernen eine Finanzpolitik großen Stils und nach einem festen Programm zu treiben. Die Riesenunternehmungen, die unsere Großbanken heute darstellen, werden kaum noch geneigt sein, reine Geschäftspolitik nach einseitigen Gewinnrücksichten zu treiben, und sie werden auch eher imstande sein, eine nationale oder imperialistische Wirtschaftspolitik der Regierung zu unterstützen. Der Überblick über unser gesamtes Wirtschaftsleben, den gerade bei der

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/305&oldid=- (Version vom 20.8.2021)