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So wurde gewissermaßen die Depositenkasse der Pionier für ein richtig ausgebildetes verfeinertes Bankwesen, und es entwickelte sich eine Kette wechselseitiger Beziehungen zwischen Publikum und Bank. Selbstverständlich hatten die, namentlich von den Geschäftsleuten bei der Bank vorübergehend untergebrachten Gelder nicht die Bedeutung von wirklichen Depositen im engeren Sinn. Unter den letzteren pflegt man im allgemeinen Gelder zu verstehen, die bei den Banken zu zinsbarer Benutzung hinterlegt werden; das eigentliche Deposit ähnelt sehr den Sparkassenguthaben. Aber auch jene von Geschäftsleuten nur vorübergehend getätigte Hingabe von Geld zog das Kapital in die Kassen der Banken. Es entwickelte sich unter den Banken ein außerordentlich scharfer Wettbewerb um die Heranziehung fremder Gelder, und es entstand durch dieses Zusammenströmen der Kapitalien die Notwendigkeit, auf immer neue Anlagemöglichkeiten bedacht zu sein. Daher kann es nicht Wunder nehmen, daß das ungeheure Anwachsen der fremden Gelder in den Banken Gegenstand dauernder und scharfer Kritik gewesen ist. Abgesehen davon, daß, wie oben bereits betont, durch diese große Kapitalmacht der Banken dem Zentralinstitut eine starke Konkurrenz geschaffen wird, entsteht ja auch die Frage, ob alle diese Summen volkswirtschaftlich richtig verwendet werden, und ferner die ebenso berechtigte nach einer tunlichsten Sicherung der Depositen. Die Konzentration im Bankgewerbe bringt es eben mit sich, daß die Verfügung über Milliarden bei wenigen Instituten liegt. Man kann sich nicht darüber täuschen, daß an sich die Großbanken es in ihrer Macht hätten, durch Zuteilung und Verweigerung von Kredit einzelne Teile der Volkswirtschaft zu fördern oder zu schädigen; man könnte sich denken, daß einzelne Industriezweige und einzelne Großunternehmungen besonders reichlich mit Kapital versorgt werden, während andere darben; man könnte befürchten, daß die den Großbanken übergebenen Betriebskapitalien festgelegt und daß dadurch die Liquidität beeinträchtigt wird. Ja, man kann sich denken, daß gerade der ungeheure Zustrom von Mitteln die Banken veranlassen möchte, ihre Kreditgewährung zu überspannen. Alle diese Bedenken sind wiederholt erhoben worden. Wer unser Banksystem aus eigener Erfahrung und Beobachtung kennt, der weiß freilich, daß das Verantwortlichkeitsgefühl der Leiter außerordentlich stark entwickelt ist, und daß vor allem mit größter Aufmerksamkeit darauf geachtet wird, gegen die Summe der fremden Gelder einen Aktivbestand an leicht greifbaren Mitteln und liquiden Positionen zu halten.

Liquidität.

Wir kommen hier auf einen Punkt, der gerade in den letzten Jahren im Vordergrund der Betrachtung gestanden hat, auf die sogenannte Liquidität, d. h. einfach ausgedrückt, auf die Fähigkeit der Banken, ihren Verpflichtungen nach menschlichem Ermessen gerecht zu werden. Freilich so viel bares Geld gibt es einfach nicht, daß eine einzelne Bank oder alle Banken zusammen jederzeit ihre Verbindlichkeiten mit barem Gelde aus eigener Kraft einlösen könnten. Aber das Verlangen ist berechtigt, daß die den Banken zur Verfügung gestellten Gelder möglichst in den Dienst des soliden und reellen Geschäftslebens gestellt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß unsere Industrie mehr mit fremden

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/307&oldid=- (Version vom 20.8.2021)