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physikalischen Gesetze für die Erhaltung der Bodenfeuchtigkeit eine Umgestaltung erfahren. An die Stelle veralteter Ackergeräte waren überall moderne Schälpflüge zur Erhaltung der Bodenfeuchtigkeit und Vorbereitung der nachfolgenden Tiefkultur getreten. Drillmaschinen an die Stelle der Breitsaat, Mäh- und Dreschmaschinen an die Stelle der Sense und des Dreschflegels usw.

Der ganze landwirtschaftliche Betrieb gestaltete sich – alles auf Grund der besseren wissenschaftlichen Erkenntnis der Naturgesetze – mehr und mehr zu einem Veredlungsgewerbe im kaufmännisch-industriellen Sinne, d. h. zu einer Verarbeitung gegebener oder käuflich zu beschaffender Rohstoffe oder Halbfabrikate (Kunstdünger, Futtermittel) in hochwertigere Halb- oder Ganzfabrikate – wobei nun namentlich auch ein rationeller Bodenhaushalt, d. h. der Gesichtspunkt, den Boden an Pflanzennährstoffen – an dem Rohmaterial für die Pflanzenerzeugung – nicht auszuplündern, sondern möglichst immer reicher zu speisen, erst zu seinem vollen Recht gelangte. Der Verbrauch allein an Handelsdünger stieg dabei von etwa 16 Millionen dz im Jahre 1890 auf rund 70 Millionen dz im Werte von etwa 500 Millionen M. im Jahre 1912.

Diese gewaltige Entwickelung konnte sich aber naturgemäß auf allen Gebieten nur bei dem engsten Zusammenwirken, der innigsten gegenseitigen Unterstützung von Wissenschaft und Praxis vollziehen. Deshalb muß als ein besonders günstiger Umstand für die Überwindung der kritischen Lage unserer Landwirtschaft am Ende des vorigen Jahrhunderts die bereits im Jahre 1885 durch Max Eyth nach dem Vorbild der Englischen Ackerbaugesellschaft erfolgte Gründung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft betrachtet werden. Diese Gesellschaft, welche unter der Leitung ihres genialen Führers das englische Vorbild sehr bald völlig überholte, bildete auf dem Gebiet rein technischer Vervollkommnung bald den Mittelpunkt einer gewaltigen geistigen Zusammenarbeit oder richtiger eines ständigen Widerspieles wissenschaftlicher Forschung und praktischer Erprobung.

Berufsständische Organisation.

Von nicht minder großer, ja vielleicht von noch größerer Bedeutung als die D. L. G. aber wurde in dem Kampf um die Gesundung der deutschen Landwirtschaft deren berufsständische Organisation auf gesetzlicher Grundlage, wie sie sich beginnend im Jahre 1894, mit dem preußischen Gesetz über die Errichtung von Landwirtschaftskammern in jeder einzelnen preußischen Provinz[1], schließlich fast über das ganze Deutsche Reich auf den gleichen Grundlagen wie in Preußen ausgebreitet hat.

Wohl hatte schon vorher die Not der Zeit die Landwirte in immer wachsender Zahl zu freien landwirtschaftlichen Lokalvereinen – und diese wieder zu Provinzial- oder Landesvereinen zusammengeschlossen. Aber hierbei handelte es sich doch immer nur um einen freien Zusammenschluß einzelner arbeitsfreudiger und opferwilliger Mitglieder zu gemeinnütziger Arbeit in beschränkterem Umfange. Und wenn diese vorausgehende Vereinstätigkeit bei der umfassenderen gesetzlichen Organisation des ganzen Berufsstandes auch keineswegs entbehrt werden konnte, sondern sorgfältig


  1. In der Provinz Hessen-Nassau, gesondert für die Regierungsbezirke Kassel und Wiesbaden.
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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/33&oldid=- (Version vom 20.8.2021)