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Innungsverbände), ferner über Lehrlingsverhältnisse, über Meistertitel und die Übergangsbestimmungen; die einzelnen Artikel traten nach kaiserlicher Anordnung nach und nach bis zum 1. Oktober 1901 in Kraft. Was bringt dieses wichtige Gesetz dem Handwerk?

Die statistische Erhebung vom Jahre 1895 hatte der Regierung nicht nur bewiesen, daß die Novelle von 1881 nicht vermocht habe, das Innungswesen auf fakultativer Grundlage neu zu beleben, sondern auch gezeigt, daß bei der örtlichen Zerstreuung der Handwerker eine Zwangsorganisation des gesamten Handwerks sehr schwierig sei, auch in verschiedenen Bezirken sich nur für einzelne Gewerbe die nötige Anzahl Meister zur Bildung einer leistungsfähigen Innung finde. Dazu kam der lebhafte Widerstand gegen den Gedanken der allgemeinen Zwangsinnung in den blühenden Gewerbevereinen Süddeutschlands. Bei dieser Sachlage schlug die Regierung in dem neuen Handwerkergesetz einen Mittelweg ein, indem sie neben den bisherigen freien Innungen fakultative Zwangsinnungen schuf.

Die freien Innungen.

Die Aufgaben der Innungen sind im wesentlichen dieselben geblieben, wie sie die Innungen der früheren Zeit hatten. Als gesetzliche Aufgabe der freien Innungen ist ausgesprochen: 1. die Pflege des Gemeingeistes sowie die Aufrechterhaltung und Stärkung der Standesehre unter den Innungsmitgliedern; 2. die Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Meister und Gesellen, sowie die Fürsorge für das Herbergswesen und den Arbeitsnachweis; 3. die nähere Regelung des Lehrlingswesens und die Fürsorge für die technische, gewerbliche und sittliche Ausbildung der Lehrlinge, vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen über die Rechte der Handwerkskammern und über die Lehrlingsverhältnisse nach diesem Gesetz; 4. die Entscheidung von Streitigkeiten der im Gewerbegerichtsgesetz bezeichneten Art zwischen den Innungsmitgliedern und ihren Lehrlingen. Als freiwillige Obliegenheit steht ihnen ferner zu: 1. Veranstaltungen zur Förderung der gewerblichen, technischen und sittlichen Ausbildung der Meister, Gesellen und Lehrlinge zu treffen, insbesondere Schulen zu unterstützen, zu errichten und zu leiten, sowie über die Benutzung und den Besuch der von ihnen errichteten Schulen Vorschriften zu erlassen; 2. Gesellen- und Meisterprüfungen zu veranstalten und über die Prüfungen Zeugnisse auszustellen; 3. zur Unterstützung ihrer Mitglieder und deren Angehörigen, ihrer Gesellen, Lehrlinge und Arbeiter in Fällen der Krankheit, des Todes, der Arbeitsunfähigkeit oder sonstiger Bedürftigkeit Kassen zu errichten; 4. Schiedsgerichte zu errichten, die berufen sind, Streitigkeiten der in § 4 des Gewerbegerichtsgesetzes bezeichneten Art zwischen den Innungsmitgliedern und ihren Gesellen und Arbeitern an Stelle der sonst zuständigen Behörden zu entscheiden; 5. zur Förderung des Gewerbebetriebes der Innungsmitglieder einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb einzurichten. Es sei bemerkt, daß im Gesetz noch als Aufgabe der Innungen die Entscheidung von Streitigkeiten der in § 53a des Krankenversicherungsgesetzes bezeichneten Art und die Errichtung von Schiedsgerichten dafür vorgesehen war; die Rechtsverhältnisse der Innungskrankenkassen richten sich indessen jetzt nach der Reichsversicherungsordnung

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/343&oldid=- (Version vom 20.8.2021)