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Staat allerdings durch eine einsichtsvolle und weitblickende Gesetzgebung den Weg ebnen kann. In dieser Hinsicht bemerkt Wernicke mit Recht, daß alle Mittel, die dazu dienen, die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit der Kleingewerbetreibenden durch Erhöhung ihrer technischen und kaufmännischen Bildung, durch genossenschaftlichen Zusammenschluß usw. zu erhöhen, ins Gebiet der Selbsthilfe oder deren Grundlagen gehören und durchaus zu billigen und zu unterstützen sind, während die Forderung der Unterdrückung oder hohen Besteuerung von Konkurrenten, wie der Warenhäuser, Konsumvereine u. dgl., Mittel der Fremdhilfe sind, die einen Almosencharakter an sich tragen und nicht im wirklichen und dauernden Interesse des Standes liegen können. Zwar leidet der Stand der Kleingewerbetreibenden unter dem Wettbewerb dieser neuzeitlichen Unternehmungsformen, aber die Gesamtheit hat Vorteile davon; der Staat darf nur dann zugunsten eines einzelnen Standes einschreiten, wenn mit der für alle bestehenden Freiheit Mißbrauch getrieben wird.

Wünsche des Handwerks.

Weitgehende Wünsche zeigt zunächst das Programm, das die im Jahre 1904 gegründete „Deutsche Mittelstandsvereinigung“ für die Reform des Handwerks aufgestellt hat. Innere und äußere Reformen werden verlangt: Einführung der allgemeinen Zwangsinnung, des großen Befähigungsnachweises (nicht offiziell!), einheitliche Abfassung von Lehrverträgen und Gesellenbriefen, Verpflichtung der Gesellen zur Führung eines Arbeitsbuches, Einbeziehung der selbständigen Handwerker in die Unfall- und Invalidenversicherung, Ernennung eines besonderen Handwerksministers, Einschränkung der Gefängnisarbeit, Heranziehung des Handwerks für die Beschaffung von Bedarfsgegenständen, die der Staat für Heer, Marine, Post und Eisenbahn benötigt, Sicherstellung der Forderungen der Bauhandwerker, gesetzliche Regelung des Submissionswesens, einschränkende Maßnahmen gegen Warenhäuser und Konsumvereine, Abzahlungsgeschäfte, Wandergewerbe, Auktionen und Ausverkäufe.

Schon im Februar 1902 hatten die Abgeordneten Trimborn und Genossen dem preußischen Abgeordnetenhause das Programm einer umfassenden Gewerbeförderung, namentlich für das Handwerk, vorgelegt, in dem u. a. verlangt wurde: Veranstaltung dauernder und zeitweiliger Ausstellungen von kleingewerblichen Motoren, Maschinen und Werkzeugen, Vorführung bewährter Arbeitsmethoden und technischer Fortschritte des Kleingewerbes in Lehrkursen, Förderung der Lehrlingsausbildung und des gewerblichen Genossenschaftswesens und Errichtung einer Zentralstelle beim Ministerium für Handel und Gewerbe; auch sollte dem Landtage eine Denkschrift über den Stand der Gewerbeförderung nach den vorbezeichneten Richtungen vorgelegt werden. Die geforderte Denkschrift erschien schon 1903; die preußische Zentralstelle für die Zwecke der Gewerbeförderung trat ins Leben durch das 1905 gegründete Landesgewerbeamt im Ministerium für Handel und Gewerbe. – 1907 begründete Abgeordneter Trimborn im Reichstage den fast einstimmig angenommenen Mittelstandsantrag der Zentrumsfraktion, der zugunsten des Handwerks Gesetzentwürfe verlangte, durch welche u. a. Bestimmungen zur Umgrenzung von Fabrik und Handwerk getroffen, Fabrikbetriebe mit handwerksmäßig

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/361&oldid=- (Version vom 20.8.2021)