Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/368

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die preußischen Handwerkskammern jährlich zusammen 35 000 M für die Lehrlingsausbildung aufbringen, während allein der Staat ohne die Kommunen 3 Millionen beisteuert; außerdem erklärte er sich zur weiteren Erhöhung der staatlichen Zuschüsse bereit. Gegen diese Enquete hat der Kammertag Bedenken wegen ihrer Zuverlässigkeit erhoben und will aus den Gewerbestatistiken von 1895 und 1907 den Beweis erbringen, daß seine Forderung nach Heranziehung des Großbetriebes zu den Kosten der Handwerkskammern ganz allgemein berechtigt ist; auch weist er auf die wiederholte Stellungnahme des Reichstags zugunsten dieser Forderung hin. Hinwiederum erkennt er aber auch die großen Schwierigkeiten zur Lösung dieser Frage an. 1912 hat nun die im Reichsamt des Innern stattgefundene Handwerkerkonferenz beschlossen, zur Verständigung Beiträge von beiden Seiten (den Handwerks- und den Handelskammern) für Einrichtungen zu geben, die gemeinsam für Lehrlinge des Handwerks und für junge Leute im Großbetriebe gedacht sind, wie Jugendheime, Fachschulen usw.

Aufhebung des § 100 q der RGO.

Die Handwerker wünschen vielfach die Aufhebung des § 100 q der RGO., der vorschreibt, daß die Zwangsinnung ihre Mitglieder in der Festsetzung der Preise ihrer Waren oder Leistungen oder in der Annahme von Kunden nicht beschränken darf, während dies den freien Innungen gestattet ist. Für die freien Innungen ist naturgemäß eine solche Beschränkung nicht notwendig, da ja jedes Mitglied austreten kann, wenn ihm eine solche Maßnahme nicht paßt. Die Gegner dieses Paragraphen erklären, daß durch ihn eine gedeihliche Tätigkeit der Zwangsinnung zur Förderung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder gehemmt sei; für gewerbliche Leistungen und Waren müßten gewisse bindende Mindestpreise festgesetzt werden, um die Preisdrückerei zu beseitigen; der § 100 q verbiete dem Handwerk, was man der Großindustrie in Kartellen, Trusts und Syndikaten gestatte. Ob die Aufhebung der Beschränkung für die Zwangsinnungen bei der Verschiedenheit in den Verhältnissen im Gesamtinteresse des Handwerks liegt, steht dahin. Die Forderung der Beseitigung hat zwar bei den großen Parteien des Reichstags Anhänger gefunden, aber die Vertretungen des Handwerks sind sich selbst nicht einig; die in Berlin im Reichsamt des Innern stattgefundene Handwerkerkonferenz hat die Aufhebung abgelehnt, da die Beteiligten nicht schlüssig werden konnten, in welcher Form das Problem gelöst werden solle. Jedenfalls müßte die Aufhebung mit großen Kautelen geschehen; in der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 19. Februar 1913 fragte Minister Dr. Sydow mit Recht, ob es gut täte, zu sanktionieren, wenn z. B. eine Zwangsfleischerinnung dann die Fleischpreise für einen Ort festsetzte, ohne daß etwas dagegen zu machen sei; es gibt doch auch noch andere Menschen als Handwerker! Zu beachten ist auch, daß die Festlegung der Mindestpreise zur Forderung der Mindestlöhne führen würde. –

Ausbildung des gewerblichen Nachwuchses. − Landesgewerbeämter.

Die beiden Angelpunkte, um die sich die Gewerbeförderung in der Zukunft drehen muß und drehen wird, liegen auf dem Gebiete der technischen und kaufmännischen Ausbildung des gewerblichen

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/368&oldid=- (Version vom 20.8.2021)