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Schulung des Handwerkers werden die Erfolge sich noch weiter steigern. Welche Macht im Genossenschaftswesen liegt, zeigt die starke Ausbreitung und segensreiche Wirksamkeit der landwirtschaftlichen Genossenschaften, besonders der Kreditgenossenschaften, Rohstoffgenossenschaften und Produktivgenossenschaften. Auch der Betrag der von den Kreditgenossenschaften gewährten Kredite beweist, welchen Nutzen der genossenschaftliche Gewerbestand aus dem Kapitalismus unserer Tage zieht. So gewährten 1911 allem die 977 berichtenden Kreditgenossenschaften des Allgemeinen Verbandes der deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften ihren Mitgliedern fast 4428 Millionen Mark Kredit, die 362 berichtenden Kreditgenossenschaften des Hauptverbandes der deutschen gewerblichen Genossenschaften in Berlin einen solchen von 1559 Millionen. Das sind beachtenswerte Zahlen auf dem deutschen Kapitalmarkt, die zudem von Jahr zu Jahr mächtig wachsen. –

Ausblick.

So sehen wir, daß der Staat sowohl in seiner Gesetzgebung als in seiner Verwaltung dem Handwerk in der vielseitigsten Weise unterstützend zur Seite stehen und ihm auch in den Selbsthilfebestrebungen seinen starken Arm zur Erleichterung leihen kann. Auch in Zukunft darf das deutsche Handwerk auf die wohlwollende Unterstützung des Staates rechnen. So ist zurzeit im Reichsamt des Innern der Entwurf einer Handwerkernovelle in Vorbereitung, bei deren Ausarbeitung alle schwebenden Handwerkerfragen eingehend geprüft werden; auch soll den Vertretern des Handwerks Gelegenheit zu ausgiebiger Erörterung gegeben werden[1]. Aber schließlich muß doch die wirtschaftliche Energie des einzelnen Handwerkers den Ausschlag geben und ihm den Weg zum Erfolg bahnen. Da suche nun der heutige Handwerker nicht mit starrem Sinn Einrichtungen der früheren Jahrhunderte wiederherzustellen, für die unsere Zeit nicht mehr die Grundlage bietet. Jede Zeit hat eben ihr eigenes Gepräge, und wer sich ihrer Eigenart nicht anpaßt, der wird von ihr überflügelt. Vorwärts, nicht rückwärts muß der Handwerker schauen! Heutzutage gilt es, sich vor allem eine möglichst vollkommene technische und kaufmännische Ausbildung zu verschaffen und dann seinen Betrieb ganz nach kaufmännischen Grundsätzen auszugestalten. Einkauf, Zahlungsweise, Absatzwege usw. setzen heute ein viel höheres Maß von Intelligenz und kaufmännischer Tüchtigkeit voraus als in früheren Jahrzehnten. Es kommt darauf an, sich genügenden Kredit zu sichern, die Konkurrenz zu beachten und ihr zu begegnen wissen, eine vernünftige Reklame zu machen, sich Höflichkeit und Aufmerksamkeit im Umgang mit dem Publikum anzugewöhnen, in allem mit der Zeit fortzuschreiten und besonders mit dem leidigen Borgunwesen gründlich aufzuräumen[2]. Eine Reihe von persönlichen Eigenschaften muß den Handwerker auszeichnen: praktische Erfahrung, Gewandtheit, Findigkeit, Rührigkeit, Ordnungsliebe, Vorsicht, Pünktlichkeit, Ausdauer, Mäßigkeit und Nüchternheit, Ehrbarkeit und strengste


  1. Am 30. Juni und 1. Juli 1913 hat zu diesem Zwecke im Reichsamt des Innern eine Handwerkerkonferenz stattgefunden.
  2. Aus meiner Sammlung von Lehrmitteln für gewerbliche und kaufmännische Schulen (Verlag von Fr. Wilh. Ruhfus, Dortmund) eignet sich für die theoretische Ausbildung des Handwerkers das Buch: Der Geschäftsmann, große Ausgabe 8 M., kleine Ausgabe 2 M.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 809. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/372&oldid=- (Version vom 20.8.2021)