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allem die Ausdehnung der Krankenversicherung auf die Landarbeiter (3,8 Millionen Versicherte), Dienstboten (1,1 Mill.), unständige Arbeiter (356 000), im Wandergewerbe Beschäftigte (40 000), Hausgewerbetreibende (295 000) und auf die Betriebsbeamten und Angestellten bis zu 2500 M. Jahresarbeitsverdienst (gegen bisher 2000 M.). Die Invalidenversicherung hat eine erfreuliche Ergänzung erfahren durch die Kinderrente als Zuschuß zur Invalidenrente für den Fall, daß noch nicht erwerbsfähige Kinder zu versorgen sind (im Betrag von etwa 9 Mill. jährlich). Endlich finden die Wünsche für die Witwen, wenigstens insoweit als sie invalide sind, und für die Waisen bescheidene Erfüllung. Die gesamten Mehrleistungen der Reichsversicherungsordnung belaufen sich so auf etwa 200 Mill. jährlich.

Angestellten-Versicherung.

Die Invaliden- nebst Witwen- und Waisenversicherung erstreckt sich auf die gegen Lohn oder Gehalt beschäftigten Personen, soweit ihr Arbeitseinkommen zweitausend Mark nicht übersteigt. Mit 1150 M. (als höchster Lohnklasse) ist die Grenze für Beiträge wie Leistungen gezogen. Wer einmal versichert war, kann zwar auch bei Steigerung seines Arbeitseinkommens über 2000 M. hinaus sich die einmal erworbenen Ansprüche durch freiwillige Beitragszahlung erhalten, geht aber dann des gesetzlichen Zuschußbeitrages des Arbeitgebers verlustig. So war es verständlich, daß schon bald in den Kreisen der höher besoldeten Privatbeamten und Angestellten der Wunsch nach einer entsprechenden Ausgestaltung der Fürsorge für ihre Invaliden, Witwen und Waisen laut wurde und bald auch im Reichstage ein Echo fand. Die mächtig sich entwickelnden Verbände der Privatbeamten und Angestellten traten zur wirksamen Förderung ihrer Interessen zu einem „Hauptausschuß“ zusammen, der mehr als 700 000, d. h. ein Drittel aller Angestellten, umfaßte und durch Erhebungen die Unterlagen für zwei im Reichsamt des Innern ausgearbeitete Denkschriften bot und so die Ausarbeitung einer gesetzgeberischen Vorlage wirksam vorbereitete. Diese wurde dann auch unterm 20. März 1911 dem Reichstag vorgelegt, der sie nach eingehenden Beratungen in derselben Kommission, welche eben die Reichsversicherungsordnung erledigt hatte, unter der geschickten Führung des Herrn Staatssekretärs Delbrück und der Herren Geheimen Oberregierungsräte Koch und Beckmann noch vor Schluß der Legislaturperiode unter dem 5. Dezember 1911 einstimmig zur Verabschiedung brachte.

Die Angestelltenversicherung erstreckt sich auf mehr als 2 Millionen Beamte und Angestellte. Sie besteht selbständig neben der Invalidenversicherung, so daß solche Personen, welche 2000 M. und weniger beziehen, oder nach Erhöhung des Gehaltes ihre Versicherung bei der Invalidenversicherung freiwillig fortsetzen, in beide Versicherungen einzahlen, aus beiden aber auch unverkürzt ihre Unterstützungen beziehen. Der Beitrag stellt sich durchschnittlich auf 8% des Gehaltes und verteilt sich gleichmäßig auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Der Gesamtbetrag, der durch die Beiträge jährlich aufgebracht wird, ist auf 205 Mill. Mark veranschlagt. Auf jeden Versicherten macht das im Durchschnitt 113,60 M., wozu für drei Viertel der Versicherten noch etwa 20 M. für die Invalidenversicherung kommen. Das Gesetz ist am 1. Januar 1913 in Kraft getreten.

Über Charakter und Organisation der deutschen Arbeiterversicherung verweisen wir auf das Kapitel „Reichsversicherung“ in Band I (Zweites Buch).

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 816. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/379&oldid=- (Version vom 20.8.2021)