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zu behalten. Auch die weitere Entwicklung der staatlichen Betriebe zu mustergültigen Vorbildern einer wirksamen Arbeiterfürsorge bedarf der eingehendsten sachkundigen Erwägung. – Ich vertraue auf die bewährte, treue Hingebung des Staatsrats bei den Arbeiten, die ihm jetzt bevorstehen. Ich verkenne nicht, daß gerade auf diesem Gebiete nicht alle wünschenswerten Verbesserungen allein durch staatliche Maßnahmen zu erreichen sind. Der freien Liebestätigkeit, der Kirche und Schule verbleibt daneben ein weites Feld segensreicher Entfaltung, durch welche die gesetzlichen Anordnungen unterstützt und befruchtet werden müssen, um zur vollen Wirksamkeit zu gelangen. Aber wenn es mit Gottes Hilfe gelingt, die berechtigten Interessen des arbeitenden Volkes auf Grund der von Ihnen zu machenden Vorschläge zu befriedigen, so wird Ihre Arbeit Meines Königlichen Dankes und der Anerkennung der Nation gewiß sein dürfen.“

Mit der Beratung wurden dann die beiden Abteilungen des Staatsrates für Handel und Gewerbe und für innere Verwaltung betraut. Ministerialdirektor Bosse (der spätere Kultusminister) wurde zum Vorsitzenden bestimmt. Als „sachkundige Personen“ wurden berufen: drei Mitglieder des preußischen Volkswirtschaftsrates: Schlossermeister Deppe (Magdeburg), Werkmeister Spengler (Mettlach) und Bautischlermeister Vorderbrügge (Bielefeld), ferner Generalsekretär Hitze (M. Gladbach), Arbeiter Buchholz (nichtständiges Mitglied des Reichsversicherungsamtes, Berlin), Direktor Schlittgen (Marienhütte bei Kotzenau) und Fabrikbesitzer Freese (Berlin). Am 26. Februar begannen die Beratungen der Abteilungen, die drei Tage – mit je acht- bis neunstündiger Dauer – umfaßten. Der Kaiser selbst führte von der ersten bis zur letzten Stunde den Vorsitz. Sein lebhaftes Interesse, die hohe Huld gegen alle Teilnehmer, die ebenso liebenswürdige als energische, die Fragen voll beherrschende Führung der Verhandlungen erfüllte alle Teilnehmer mit aufrichtiger Bewunderung und begeisterter Liebe. – Fürst Bismarck wohnte bloß der ersten Morgensitzung bei. Er erklärte, daß die Vertreter der Regierung bloß zu ihrer Information teilnehmen und sich selbst nicht an der Diskussion beteiligen würden. – Als Referenten waren vom Kaiser selbst Herr Finanzrat Jenke (Essen) als Gegner und Oberbürgermeister Miquel (Frankfurt a. M.) als Verteidiger der Arbeiterschutzziele bestimmt worden, die in gleicher Weise ihre Aufgabe glänzend erledigten. Das Resultat der Beratungen war ein voller Erfolg des Kaiserlichen Programms.

Die internationale Arbeiterschutzkonferenz.

Die internationale Arbeiterschutzkonferenz trat am 15. März in Berlin zusammen. Der Einladung zur Teilnahme waren gefolgt: Belgien, Dänemark, England, Frankreich, Holland, Italien, Luxemburg, Österreich-Ungarn, Portugal, Schweden und Norwegen und die Schweiz. Der preußische Handelsminister, Freiherr von Berlepsch, eröffnete die Sitzung mit einer Ansprache, in der er zunächst im Namen des Kaisers „der hohen Befriedigung“ Ausdruck gab, „daß diese hervorragende Versammlung sich zur Beratung über die wichtigen, die europäischen Industriestaaten in diesem Augenblick beschäftigenden Fragen in der Residenz vereinigt habe“. Er dankte der Schweiz, daß sie im Interesse der deutschen Initiative zurückgetreten sei.

„Nach Ansicht der Kaisers“, so führte er weiter aus, „verlangt die Arbeiterfrage die Aufmerksamkeit aller zivilisierten Nationen, seitdem der Friede der verschiedenen Bevölkerungsklassen durch den Wettbewerb der Industrie bedroht erscheint. Nach einer Lösung dieser Fragen zu suchen, ist nunmehr nicht bloß eine Pflicht der Menschenliebe, sondern auch der staatserhaltenden Weisheit, welcher es obliegt, für das Wohl aller Bürger zu sorgen und gleichzeitig das unschätzbare Gut einer Jahrhunderte alten Zivilisation zu erhalten. Alle europäischen Staaten befinden sich angesichts dieser Aufgabe in derselben

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 825. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/388&oldid=- (Version vom 20.8.2021)