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Die internationale Arbeiterschutzkonferenz hat zunächst eine Wiederholung in der damaligen Form – als offizielle Vertretung der verschiedenen Staaten – nicht gefunden. Sie hatte als solche zunächst auch ihren Zweck erfüllt. Dagegen fand sie ihre Fortsetzung in freien Konferenzen derjenigen Kreise, die sich für die Bestrebungen des Arbeiterschutzes besonders interessierten und sich bald zum Zwecke einer wirksameren Propaganda in den einzelnen Ländern zusammenschlossen. So tagte 1897 eine solche Konferenz in Zürich und in Brüssel. Auf letzterer wurde die Bildung einer dauernden „Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz“ in Aussicht genommen und ein provisorisches Komitee unter Vorsitz des früheren Handelsministers Freiherrn von Berlepsch gebildet. Auf der folgenden Konferenz in Paris (1900), unter dem Vorsitz des früheren französischen Ministers Millerand, trat dann diese Vereinigung ins Leben. Sie erhielt 1901 eine festere Gestaltung durch die Errichtung eines internationalen Arbeitsamtes (unter Leitung des Professor Dr. Bauer) in Basel, mit der Aufgabe, das Material betreffend die Arbeiterschutzgesetzgebung in den einzelnen Ländern zu sammeln und periodisch zu veröffentlichen und die regelmäßigen Kongresse vorzubereiten. In den einzelnen Ländern wurden Landessektionen gegründet, resp. bereits bestehende Vereine (z. B. die in Deutschland schon vom Freiherrn von Berlepsch gegründete „Gesellschaft für soziale Reform“) als solche errichtet. In erster Linie wurden Untersuchungen über „Gesundheitsgefährliche Industrien“, insbesondere die Zündhölzchenindustrie und die Erzeugung und Verwendung von Bleifarben, angestellt. (Herausgegeben vom Direktor Dr. Bauer, Basel 1903.) Dann folgten Berichte über die „gewerbliche Nachtarbeit der Frauen“ (1904); ferner „die Bekämpfung der Bleigefahr in der Industrie“ (von Gewerberat Dr. Leymann, 1908) und „Bekämpfung der Bleigefahr in Bleihütten“ (von Dr.-Ing. Rich. Müller, 1908). Im Jahre 1912 erschien: „Liste der gewerblichen Gifte und anderer gesundheitsschädlicher Stoffe, die in der Industrie Verwendung finden“ (von Professor Dr. Sommerfeld und Gewerberat Dr. R. Fischer). Außerdem sind die Arbeitsverhältnisse in der Großeisenindustrie eingehender Erörterung unterstellt. Das „Bulletin des internationalen Arbeitsamtes“ (bis heute 12 Bände, monatlich erscheinend) unterrichtet sorgsam und eingehend über die Fortschritte der Arbeiterschutzbestrebungen in allen Ländern. Im allgemeinen tagen die Konferenzen alle zwei Jahre: 1902 in Köln, 1904 in Basel, 1906 in Genf, 1908 in Luzern, 1912 in Lugano. Besonders erfreulich war, daß auch die Regierungen, in stetig steigendem Maße, Vertreter zur Teilnahme an den Beratungen entsendeten, die diese mit ihrem sachkundigen Rat wirksam förderten, wenn auch nur als private Teilnehmer. Noch erfreulicher war es, daß 1905 auf Einladung der Schweiz eine Reihe von Staaten offiziell in der Konferenz zu Bern sich zusammenfanden, deren Beratungen zu einem gemeinsamen Abkommen vom 26. September 1906 führten mit dem Ziele: 1. Verbot der Nachtarbeit weiblicher Personen in allen gewerblichen Betrieben mit 10 oder mehr Arbeitern und Bemessung dieser Ruhezeit auf mindestens 11 Stunden; 2. Verbot der Verwendung von weißem Phosphor in der Zündhölzchenindustrie (in Deutschland schon 1903 eingeführt). Der ersteren wichtigen Vereinbarung haben sich fast alle maßgebenden Staaten: Deutschland, Österreich-Ungarn, Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, England, Italien, Luxemburg, Holland, Portugal, Schweden und Norwegen und die Schweiz angeschlossen. Diese Vereinbarung beweist, daß bei gutem Willen auch direkte Verständigung und gegenseitige Verpflichtung auf bestimmte Minimalforderungen des Arbeiterschutzes recht wohl möglich sind. Auf Grund dieser günstigen Erfahrungen hat die Schweiz zum 15. September 1913 eine neue Konferenz berufen. Diese hat sich auf folgende Ziele geeinigt: 1. Verbot der Nachtarbeit für Kinder absolut, für junge Leute (bis zum 16. Lebensjahre) mit Ausnahmen; 2. Beschränkung der Arbeitszeit für junge Leute und für Arbeiterinnen (ohne Beschränkung des Lebensalters) auf höchstem zehn Stunden täglich resp. 60 Stunden wöchentlich. Die Nachtruhe soll mindestens elf Stunden betragen. Die Schweiz ist beauftragt, für 1914 die Konferenzstaaten zum Abschluß einer betreffenden Konvention zu berufen. – Außerdem hat die internationale Vereinigung für den gesetzlichen Arbeiterschutz die Einsetzung einer internationalen Kommission zur Beratung von Grundsätzen für eine periodische Berichterstattung über die Durchführung der Arbeiterschutzgesetze angeregt, die ebenfalls vom Schweizer Bundesrat für den 11. September nach Bern einberufen ist. – In der Linie internationaler Verständigung liegt auch die Arbeiterschutz-Konvention, welche zwischen Frankreich und Italien (d. d. 16.4.1904) abgeschlossen worden ist (Reichsarbeitsblatt 1904).

So hat sich der Gedanke internationaler Verständigung als lebensfähig und fruchtbar bewährt. Er hat seine Werbekraft auch auf das Gebiet der Arbeiterversicherung ausgedehnt. Der hochverdiente erste Präsident des Reichsversicherungsamtes, Dr. Boediker, kann mit Recht als der Schöpfer der internationalen Arbeiterversicherungskongresse bezeichnet werden, auf denen er mit großem Erfolg die Grundgedanken der deutschen Arbeiterversicherung zur Anerkennung gebracht hat. Der erste Kongreß fand 1889 in Paris statt, dem

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 829. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/392&oldid=- (Version vom 20.8.2021)