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Eisenbahnen, Straßen- und Luftverkehr, Post und Telegraph
Von Staatsminister a. D. von Frauendorfer, München
u. Ministerialrat v. Völcker, München


Der Weltverkehr.

In den letzten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts hat sich, nicht gekennzeichnet durch bestimmte geschichtliche Ereignisse, aber in ihren Wirkungen deutlich wahrnehmbar, eine wichtige Wandlung in der wirtschaftlichen Verkettung der Völker durch den Weltverkehr vollzogen.

Wohl gab es einen Weltverkehr, seitdem die neue Welt entdeckt war. Aber der Weltverkehr hat die Rohstoffe und Lebensmittel des Massenbedarfs fast drei Jahrhunderte lang überhaupt nicht erfaßt und sie selbst noch während des größten Teils des neunzehnten Jahrhunderts nur zwischen den Küsten der Weltmeere vermittelt. Das Innere der Kontinente ist dem Weltverkehr in den Massenhandelsgütern fast vier Jahrhunderte hindurch so gut wie verschlossen geblieben.

Den Eisenbahnen war es vorbehalten, dem Verkehr die Welt im vollendeten Sinne des Wortes zu öffnen.

Aber auch sie bedurften hierzu der Entwicklung eines halben Jahrhunderts. Ihre Frachten waren anfangs für den Massenverkehr zu teuer, auch die Technik der Seeschiffahrt war zunächst einem solchen Massenverkehr nicht gewachsen und die Weltwirtschaft war für den regelmäßigen Austausch von Massengütern noch nicht organisiert. Diese Organisation mußten die Eisenbahnen erst vorbereiten. Sie ermöglichten zunächst den Austausch der Menschen in großem Stile. Eine Völkerwanderung bewegte sich seit den 1830er Jahren in ununterbrochenem Strom über den Atlantischen Ozean und wurde drüben wiederum durch die Eisenbahnen, die in mächtigen Strängen den amerikanischen Kontinent von der atlantischen bis zur pazifischen Küste durchqueren, verteilt. Der Personenverkehr wurde zum Pionier des Güterverkehrs. Die Besiedelung der neuen Welt mit einer tatkräftigen Bevölkerung europäischer Kultur führte zur Umwandlung weiter bisher unausgenützter Steppen und Prärien in fruchtbares Ackerland. Allerorten wurden die Bodenschätze gehoben. In den westeuropäischen Kulturländern entwickelten sich mächtige Industrien: ihre wachsende Bevölkerung kann nunmehr von der eignen Landwirtschaft nicht mehr ernährt, auch die Rohstoffe müssen zu einem großen Teil von außen bezogen werden. Es entsteht ein intensiver Austausch von Industrieerzeugnissen gegen Lebensmittel und Rohstoffe zwischen den Industriestaaten einerseits und den Agrarexportländern anderseits, eine internationale Arbeitsteilung und eine vielgestaltige wirtschaftliche Verkettung der Länder der ganzen Erde.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 875. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/438&oldid=- (Version vom 20.8.2021)