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in den letzten Jahrzehnten in den deutschen Großstädten erbaut worden, aber die Wohnungen sind nicht billiger geworden. Wo der Verkehr mit ländlichem Grund und Boden in Berührung trat, sind hohe Grundpreise entstanden, die Mietkaserne ist immer weiter in die Außenbezirke und selbst in die Vororte vorgedrungen, den minderbemittelten Klassen ist es nicht beschieden worden, auf eigener Scholle zu wohnen.

Mancherlei Mittel zur Abhilfe sind vorgeschlagen, sogar einer grundsätzlichen Änderung unseres Eigentumrechts am Grund und Boden wird das Wort geredet. Das Zweckverbandsgesetz hat in glücklicher Weise in den Wirkungskreis der neugeschaffenen Organisation neben der Verkehrspolitik auch die Baulinien- und Freiflächenpolitik gelegt. Gerade die Verbindung von Verkehrs- und Wohnungspolitik erscheint bedeutungsvoll: Die Vorstreckung erstklassiger, den Bedürfnissen des Wohnverkehrs besonders angepaßter Schnellbahnen in Gebiete ländlichen Charakters, die Sicherstellung großer billiger Geländeflächen für den Wohnungsbau vor der Herstellung der Bahnen, sowie die zielbewußte Schaffung von Erleichterungen für die Ansiedelung der minderbemittelten Klassen, womit die Befriedigung der Wohnungsbedürfnisse der Wohlhabenden und die Deckung des Geländebedarfs der Industrie Hand in Hand zu gehen hätte, dürften in der Tat vielleicht die alleinigen Mittel sein, die geeignet sind, die erstrebenswerte Ausbreitung der Bevölkerung unserer Millionenstädte über weite Flächen blühenden Gartenlandes anzubahnen.

VI. Deutsche Eisenbahnpolitik in den Schutzgebieten.

Im Jahre 1894, also zehn Jahre nachdem Deutschland in die Reihe der Kolonialmächte eingetreten ist, wurde mit der ersten 14 km langen Teilstrecke der Usambara-Bahn in Deutsch-Ostafrika die erste Eisenbahn in unseren Schutzgebieten eröffnet. Bereits 1906 gab es in den deutschen Kolonien 1000 km Bahnen.

Von nun an setzte eine überaus rasche Entwicklung ein. Es ist das Verdienst Dernburgs, daß er die große Bedeutung der Eisenbahnen für die wirtschaftliche Entwicklung unserer Schutzgebiete erkannt und einen groß angelegten Plan für den Ausbau des Kolonialbahnnetzes ausgearbeitet hat. 1908 und 1910 brachte er zwei große Kolonialvorlagen ein, und schon 1910 war das zweite Tausend Kilometer Bahnen überschritten. Nach Vollendung der jetzt im Bau begriffenen Linien, etwa Ende 1913, wird Deutschland in seinen Schutzgebieten rund 4500 km Bahnen besitzen, unsere Kolonialbahnen werden damit an Länge bereits dem Eisenbahnnetz der Schweiz gleichkommen.

In Deutsch-Ostafrika ist außer der Usambara-Bahn, die bis Moschi, 352 km von der Küste in das Innere vorgestreckt ist, nunmehr auch die Mittellandbahn auf eine Länge von 867 km bis nach Tabora, der wichtigsten Stadt des Schutzgebietes mit 40 000 Einwohnern, fertiggestellt. Sie wird in westlicher Richtung bis zum Ostufer des Tanganjika-Sees fortgesetzt und vermittelst eines auf diesem See einzurichtenden Dampfschiffbetriebs Anschluß an das Kongobahnnetz erhalten, das einen Ausläufer bis zum Westufer dieses Sees entsenden wird. Man hofft den See von beiden Seiten bis Ende des Jahres 1913 erreichen und damit die erste großen, teils aus Eisenbahnlinien, teils aus Schiffahrtsstrecken

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 897. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/460&oldid=- (Version vom 20.8.2021)