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Innere Kolonisation
Von Frhr. von Wangenheim auf Klein-Spiegel


Wenn man in Preußen von innerer Kolonisation spricht, so wird man dabei in der Hauptsache den Blick auf den Osten der Monarchie zu richten haben, welcher als das Land der jüngeren Kultur und als das hauptsächliche Gebiet des Großgrundbesitzes in erster Linie für dieselbe in Betracht kommt. Im Westen hat sich die Aufteilung des Besitzes im ganzen schon sehr viel früher vollzogen. Hier kommen zurzeit in der Hauptsache nur noch die bisher unkultivierten Moore und Heiden für eine großzügige Besiedlung in Frage. Im übrigen ist dort im ganzen die wünschenswerte Mischung der verschiedenen Besitzgrößen erreicht, leider in einzelnen Bezirken auch bereits ein Zwergbesitz entstanden, welcher wirtschaftlich und sozial nicht erstrebenswert ist.

Geschichtlicher Rückblick.

Man kann aber die Arbeiten und Aufgaben unserer Zeit auf diesem Gebiet nur richtig beurteilen, wenn man auch einmal rückwärts blickt auf die Geschichte des preußischen Ostens, die ja von den Anfängen des Deutschtums bis auf unsere Tage in ganz besonderem Sinne als eine Geschichte der dauernden Kolonisation anzusehen ist. Die ersten Anfänge dieser Kolonisation fallen zusammen mit dem Vordringen des Deutschtums und Christentums. Ihre Träger sind die Ritter- und Mönchsorden, welche ein großartiges Kulturwerk auch in der Besiedlung des eroberten Landes schaffen. Ihr Werk kommt zum Stillstande, ja zum Zusammenbruch mit dem Niedergang des Deutschritterordens, und in den ununterbrochenen Kriegen, welche sich dann dort abspielen, wird das Land verwüstet, die Bevölkerung dezimiert.

Eine wirklich umfassende, zielbewußte Kolonisation beginnt dann erst wieder mit dem Großen Kurfürsten. In klarer Erkenntnis dieser größten Aufgabe seiner Zeit versteht er es, aus anderen Landesteilen Deutschlands sowohl als aus dem Auslande den starken Strom einer Abwanderung in die verödeten Landstriche zu lenken, welche größtenteils aus konfessionellen Gründen stattfindet. Friedrich Wilhelm I., dessen Leistungen als Staatsmann noch heute vielfach lange nicht genug gewürdigt werden, Friedrich II., der größte Volkswirt und Kolonisator, setzen das Werk fort, dessen Bedeutung sie über jede andere Maßnahme zur Hebung ihres Landes stellen. Die Tätigkeit dieser Fürsten beschränkt sich aber nicht darauf, freie Bauern, Häusler und stellenweise auch Arbeiter anzusetzen, sondern sie erfaßt auch dasjenige Gebiet, welches wir zurzeit viel zu wenig berücksichtigen: die Städte. Es wurden in erheblichem Umfange Gewerbetreibende

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/47&oldid=- (Version vom 20.8.2021)