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ergibt sich im wesentlichen aus folgenden Ursachen: das Schiff ist billiger als die seiner Tragfähigkeit entsprechende Zahl von Eisenbahnwagen, die Nutzlast steht bei ihm zur toten Last, d. h. zum Eigengewicht des Transportmittels, in günstigerem Verhältnis, es bedarf einer geringeren Bedienungsmannschaft, und es erfordert eine geringere Kraftleistung zur Fortbewegung, weil das Gewicht des Schiffes durch das des verdrängten Wassers ausgeglichen wird und der Reibungswiderstand im Wasser geringer ist als auf der Schiene. Endlich ist die bewegende Kraft in einem Dampfer, namentlich in einem Schleppdampfer billiger herzustellen als in einer Lokomotive. Diese Momente der Überlegenheit kommen freilich nicht bei jedem Schiffe, sondern nur bei Fahrzeugen von gewissen Mindestmaßen zur Geltung und ihre Wirkung steigert sich im allgemeinen mit der zunehmenden Schiffsgröße. Hieraus ergab sich einerseits die Erklärung für die Verödung der älteren, nur mit kleinen Schiffen befahrenen Wasserstraßen, wie Mosel, Lahn, Ruhr, Lippe, Werra, Fulda, andererseits die Erkenntnis von der Notwendigkeit des Baues von Großschiffahrtswegen, d. h. von Wasserstraßen für größere Transportgefäße. Die Bestimmung der wirtschaftlich-technischen Voraussetzungen für eine praktische Wasserstraßenpolitik in diesem Sinne, die Herausbildung exakter Methoden für die Berechnung der wirtschaftlich richtigen Schiffsgrößen, der Transportselbstkosten und Frachten auf künftigen Schiffahrtswegen, bedeutete einen wesentlichen Fortschritt; denn hierdurch konnten für die großen wasserwirtschaftlichen Gesetze des letzten Vierteljahrhunderts brauchbare Unterlagen geschaffen werden, wie sie insbesondere dem preußischen Kanalgesetzentwurf vom Jahre 1899 beigegeben waren. Die Überzeugung von der volkswirtschaftlichen Daseinsberechtigung der Wasserstraßen wurde so auf neue Fundamente gestellt, besser, sicherer und wirksamer begründet und in weiteren Kreisen verbreitet.

Baunormen für Schiffahrtswege.

Diese wirtschaftlich-technischen Untersuchungen in Verbindung mit dem Streben nach Herstellung eines zusammenhängenden deutschen Wasserstraßennetzes durch Verbindung der bisher getrennten Stromgebiete gaben ferner den Anlaß zur Herausbildung gewisser Normen für den Bau von Schiffahrtswegen. Das konnte zwar nicht in dem vollkommenen Maße wie im Eisenbahnwesen erreicht werden, wo fast völlige Gleichheit im ganzen deutschen Wirtschaftsgebiete hinsichtlich der Fahrbahn und der Verwendbarkeit der Betriebsmittel herrscht; dazu sind die gegebenen Verhältnisse der natürlichen Wasserstraßen und auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen des Schiffahrtsbetriebes in den einzelnen Landesteilen zu verschieden. Aber es bildete sich doch der Grundsatz heraus, daß bei Kanalbauten und Flußkanalisierungen im Westen regelmäßig ein Schiff von 600 t, für den Osten ein Fahrzeug von 400 t als normales Betriebsmittel vorauszusetzen seien. Dabei ist als Grenze zwischen Westen und Osten im allgemeinen die Elbe angenommen, wenngleich einige Linien des östlich anschließenden Netzes der märkischen Wasserstraßen ebenfalls für Schiffe von 600 t ausgebaut sind, vor allem der neue Großschiffahrtsweg zwischen Berlin und Stettin. Beide Schiffstypen sind in dem Sinne zu verstehen, daß bei einer angenommenen Länge, Breite und Tauchtiefe die angegebenen Tragfähigkeiten unter der Voraussetzung einer gewissen Bauweise sich ergeben,

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 925. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/488&oldid=- (Version vom 20.8.2021)