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Moorbesiedlung.

Neben diesen Arbeiten gehen ziemlich gleichzeitig die ersten Anfänge der Besiedlung der großen Moore im preußischen Westen. Hier sind es zwei Männer, die an der Spitze stehen, welche die ersten Versuche gemacht haben, um ein Vorbild auf diesem Gebiete zu schaffen: Freiherr von Hammerstein und von Bennigsen. Beide haben mit weitschauendem Blick und kühnen Entschluß trotz großen Widerstandes in der Provinzialverwaltung von Hannover das erste Siedlungsunternehmen, das sogenannte Provinzialmoor an der Ems gegründet. Man kann es vielleicht bedauern, daß die preußische Staatsverwaltung diesem Beispiel zu schnell gefolgt ist, ohne zunächst die Erfahrungen abzuwarten, welche gemacht werden mußten, und daraus erklären sich die ungünstigen Urteile, welche über die Moorkultur in Deutschland im Vergleich zu der holländischen gefällt worden sind. Man sollte dabei nicht vergessen, daß in Holland nach jahrhundertelanger Arbeit bei den dortigen Veenkulturen ganz andere Verhältnisse vorliegen als bei uns in Preußen, wo wir gezwungen waren, ein vollkommen neues System der Kultur und Besiedlung der unabgetorften Moore zu schaffen unter Überwindung kolossaler Schwierigkeiten auf den verschiedensten Gebieten. So kam es, daß diejenigen Kolonisationen, welche in erster Reihe entstanden, im Provinzialmoor und im Marcardsmoor, natürlich als die ersten großen Versuche auch an manchen Fehlern jahrelang gekrankt haben. Heute aber stehen wir in der Technik der Moorkultur auf einem so hohen Standpunkte, daß wir auch unter unseren schwierigeren Verhältnissen den Vergleich mit Holland in keiner Weise mehr zu scheuen haben und daß wir bei nötiger Vorsicht ohne Bedenken Kolonisten in unseren Mooren ansetzen können, wenn sonst die Ansetzung praktisch gehandhabt wird und den Kolonisten nicht zu hohe Preise für die Grundstücke abgenommen werden.

Das ungefähr sind die Verhältnisse, wie sie heute liegen. Besiedelt sind in dem Zeitraume bis 1911 von der Ansiedlungskommission, der Generalkommission und den Privatgesellschaften rund 42 000 Stellen, eine stattliche Zahl, aber doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Weshalb innere Kolonisation?

Beschäftigen wir uns nun mit der Zukunft der inneren Kolonisation, so haben wir zunächst die Frage zu beantworten: Weshalb sollen und müssen wir diese fördern? Wir finden in der Geschichte aller Kulturvölker einen Zeitpunkt, der verhängnisvoll für ihre Existenz wird, nämlich den, in welchem aus dem Agrarstaat heraus sich der Handels- und Industriestaat entwickelt, welcher, über die Grenzen des eigenen Landes mit seinen Interessen hinausgehend, vergißt, daß die dauernde Kraft und Stärke des Volkes im Inlands liegt, in welchem man nun, geblendet durch den Glanz dieser Entwicklung, das ganze Schwergewicht auf den Exporthandel legt und damit nicht nur die eigene Landwirtschaft ruiniert, sondern auch die Bevölkerung, welche diese Landwirtschaft betreibt, welche aber gleichzeitig der Jungbrunnen des ganzen Volkes ist. An diesem Wendepunkt steht meiner Auffassung nach heute unser Vaterland. Sehen wir die Entwicklung an, welche in den industriellen Bezirken bereits eingetreten ist, so finden wir dort eine scharfe Scheidung zwischen dem großkapitalistischen Unternehmertum und dem

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/51&oldid=- (Version vom 20.8.2021)