Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/52

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

besitzlosen Arbeiterproletariat. Aus dieser strengen Scheidung entspringen die Klassenkämpfe mit allen ihren übelen Folgen. Unsere Aufgabe wird es sein, eine derartige Entwicklung in der landwirtschaftlichen Bevölkerung zu verhindern.

Es muß erstrebt werden, das ganze Land so eng zu besiedeln, wie es die allgemeinen Interessen nur irgend gestatten. Es ist aber dringend zu warnen vor dem Phantom, daß es möglich und zweckmäßig sei, jedem Menschen einen Fetzen Land zu geben und so einen Zwergbesitz zu bilden, wie er sich in einzelnen Teilen von Süddeutschland bereits verhängnisvoll entwickelt hat. Im allgemeinen nationalen Interesse wird eine Grenze zu ziehen sein, bis zu welcher mit der Aufteilung des Besitzes vorgegangen werden kann und es kann nur immer wieder betont werden: Was wir gebrauchen, ist eine gesunde Mischung der verschiedenen Besitzgrößen.

Es ist eine der bedauerlichsten Erscheinungen bei dem ganzen Kampf um die innere Kolonisation, daß für die gesamte Demokratie und ihre Presse das Wort „Innere Kolonisation“ zu einem hohlen Schlagwort geworden ist, nur dazu bestimmt, die Hetze und den Kampf gegen den Großgrundbesitz zu verschleiern. An der ansässigen Landbevölkerung scheitert das Vordringen der Sozialdemokratie; ihr Streben ist es, diese Bevölkerung zunächst der Führer zu berauben, um dann leichter mit ihr fertig zu werden. Der Großgrundbesitz hat auch heute noch seine wichtige Aufgabe im Staatsleben; er ist berufen, Führer und Vorbild des Kleingrundbesitzes zu sein. Er muß sich aber dauernd der Pflichten bewußt sein, die ihm aus dem Besitz deutschen Bodens erwachsen; Grundbesitz und namentlich Großgrundbesitz geben heute nicht nur Rechte, sondern in ganz besonders hohem Maße auch Pflichten.

Die erste Aufgabe unseres Großgrundbesitzes ist, seine Jugend in technischem Wissen und Können so zu vervollkommnen, daß sie vollständig imstande ist, ihren Platz auszufüllen. Unser Kleinbesitz weiß sehr wohl zu unterscheiden, ob der Großgrundbesitz seine Sache versteht oder nicht und hiernach wird im wesentlichen der Einfluß zu bemessen sein, welchen der Großgrundbesitzer hat. Was aber der letztere an besserer Ausbildung besitzt, das soll auch seinen kleineren Nachbarn mit zugute kommen. Bleibt er sich dieser Pflicht bewußt, dann wird er auch den Platz des Führers behaupten; aber dieser Platz wird heute nicht mehr angeboren oder ererbt, er wird erarbeitet und erkämpft. Unsere Landwirtschaft im ganzen aber muß heute dessen eingedenk sein, daß sie, nachdem sie einen Schutz ihrer Produktion erhalten hat, nun um so mehr verpflichtet ist, durch vollkommenste Ausnutzung des Grundes und Bodens das deutsche Volk mit deutschem Brot und Fleisch zu versorgen.

Die Statistik lehrt uns, daß die Viehhaltung, namentlich an Rindvieh und Schweinen, auf derselben Fläche beim Kleinbesitz erheblich stärker ist als beim Großbesitz, welcher letztere allerdings die feinere Qualität erzeugt. Ich behaupte aber – und ein Gegenbeweis ist mir bisher nicht geliefert worden –, daß beim Getreide der Großgrundbesitz der Allgemeinheit größere Massen zur Verfügung stellt, und auch dadurch wird eine gewisse Grenze gegeben sein, wie weit man mit der Aufteilung gehen darf.

Die Landwirtschaft hat aber nicht allein die Nahrungsmittel für das Volk zu schaffen, sondern vor allen Dingen auch eine körperlich und geistig gesunde Bevölkerung, aus

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/52&oldid=- (Version vom 20.8.2021)