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wiederum am Anfange einer neuen Epoche der Entwicklung. Der Dampfkraft hat sich die motorische Kraft hinzugesellt und, wenn wir auch heute noch nicht mit Sicherheit sagen können, welche Aufgaben der Motor für die Zukunft zu erfüllen berufen sein wird, so läßt sich doch bei weiterem Fortschreiten der technischen Wissenschaften von ihm zweifellos auch für die Schiffahrt noch großes erwarten.

Der Bau von Motorschiffen hat in den letzten Jahren außerordentlich schnell zugenommen. Nach einem Vortrage, den Professor Laas-Charlottenburg im Juni d. Js. auf der Jahresversammlung der Seeberufsgenossenschaft in Aachen gehalten hat, sind abgesehen von einer großen Zahl von Motorbooten, Unterseebooten, Küsten- und Flußschiffen (insbesondere auf der Wolga) in den Jahren 1908–1911 je 1–5 Motorschiffe für den Seeverkehr gebaut worden, 1912 aber schon 12 Schiffe mit ca. 17 000 Pferdestärken, 1913 sind bis zum 1. Juni 5 weitere Seeschiffe mit 9000 Pferdestärken in Fahrt gekommen, während noch 37 derartige Schiffe mit über 80 000 Pferdestärken in Bau sind; hierbei sind nur die nach dem Dieselsystem arbeitenden Motoren gerechnet, die nach Ansicht von Professor Laas allein Aussicht auf weitere Verbreitung in der großen Schiffahrt haben.

Trotz der kräftigen äußeren Entwicklung kann man jedoch noch nicht von einer endgültigen Lösung des Problems sprechen, da sich an den in Fahrt befindlichen Schiffen eine Reihe von Störungen technischer und wirtschaftlicher Natur gezeigt haben, die das Vertrauen der Reedereien auf die neue Antriebsart schwächen mußten. An technischen Störungen sind kleinere und größere Havarien an den Hauptmotoren oder den Hilfsmaschinen aufgetreten, die allerdings zum großen Teil als Kinderkrankheiten angesehen werden können, wie sie bei jeder bedeutenden technischen Neuerung überwunden werden müssen.

Das Haupthemmnis der Entwicklung in dieser Richtung bilden aber, augenblicklich wenigstens, für die Zentrale der Weltschiffahrt, für Westeuropa, die hohen Ölpreise, die zum Teil ihren Grund haben in der starken Steigerung der Nachfrage durch den Ölbedarf der Landmotoren, dazu kommt für Europa eine außergewöhnliche Steigerung der Frachtraten für das von Amerika kommende Öl, die gleichfalls eine Folge der starken Nachfrage sind, da die bisherigen Tankschiffe für den Transport des Öls über See nicht ausreichten. Im letzten Jahr sind jedoch über 100 Tankschiffe zur Beförderung von Öl gebaut oder in Auftrag gegeben; die Frachtraten können daher bald wieder normal werden, so daß zu erwarten steht, daß dann der Bau von Schiffsölmotoren von neuem kräftig einsetzen wird, zumal auch eine große Zahl der neuen Tankschiffe selbst Ölmotoren zum Antrieb der Propeller erhalten und somit zur Einführung derselben in die Schiffahrt wesentlich beitragen. Das Hauptprinzip des Ölbetriebes, die direkte Einspritzung des Brennstoffes in die Maschine, hat sich in seiner Anwendung auf Schiffen bereits voll bewährt. Der Bau von Ölmotoren für die Schiffahrt wird unter der geistigen Führung Deutschlands fast ausschließlich in Europa betrieben und zwar an nicht weniger als 52 Stellen. Hieran sind Holland, Schweiz, Dänemark, Schweden mit je einer bekannten großen Firma beteiligt, Belgien mit zwei, Italien mit drei, Österreich-Ungarn mit vier, Frankreich und Rußland mit je fünf und England mit acht Firmen, Deutschland aber mit der weitaus

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 964. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/527&oldid=- (Version vom 20.8.2021)