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dienstbar gemacht werden. Es ist nicht unbedenklich, wenn vielfach die Generalkommissionen das Bestreben haben, für ihre neuen Ansiedler eine Extrawurst zu braten. Man soll sich hüten, Staatspensionäre auch nur im kleinsten Maße zu schaffen; man soll alle Besitzer gleichmäßig behandeln. Von ganz besonderer Bedeutung auf diesem Gebiet werden auch die Kappschen Vorschläge bezüglich der Lebensversicherung und der festen Kredite werden; auch sie haben dasselbe Ziel, den Besitz zu befestigen.

Die wichtigste Frage für die Existenz unseres gesamten Grundbesitzes aber, des alten und des neuen, wird die sein, daß wir in Deutschland eine Wirtschaftspolitik behalten, welche uns unabhängig macht von der Konkurrenz des Auslandes, solange uns dieses übermächtig gegenübersteht. Eine Wirtschaftspolitik, welche in die alten Caprivischen Bahnen zurückfiele, wäre der Tod der inneren Kolonisation in unserem Vaterlande.

Neben den staatlichen Organen haben wir für die Durchführung des Kolonisationwerkes heute eine Reihe gemeinnütziger Gesellschaften. Auch sie haben Gutes geleistet, aber die Aufgaben, welche uns auf diesem Gebiete noch bevorstehen, sind so gewaltiger Art, daß ich immer noch Bedenken trage, ob diese Gesellschaften in der Lage sein werden, dieselben durchzuführen. Gewiß ist heute die staatliche Maschine zu schwerfällig, um derartige Arbeiten durchzuführen, aber ebenso gut, wie es Friedrich der Große verstanden hat, die Männer herauszufinden, welche besonders geeignet waren, nach seinen Plänen zu arbeiten, und wie er diesen Männern auch eine weitgehende Selbständigkeit gegeben hat, so könnten wir uns heute auch noch Einrichtungen verschaffen, welche zu einer freien Bewegung der Leiter der Kolonisation führten. Ich habe oft den Wunsch ausgesprochen, man möge aus den Generalkommissionen besondere Landeskulturbehörden bilden, besetzt mit den tüchtigsten Männern aus Verwaltungs- und Laienkreisen oder man möge die ganze Arbeit den Provinzialverwaltungen überweisen, in welchen die sachverständige Stelle des Bezirks gegeben ist. Wir haben diese Forderung nicht durchsetzen können. Ich erkenne trotzdem an, daß wir vorwärtskommen, aber ich fürchte bei alledem, daß auf die Dauer die jetzigen gemeinnützigen Gesellschaften doch versagen werden. Bei der dringend notwendigen Reform der Schul- und Kommunallasten z. B. kann nur der Staat helfen.

Handwerkeransiedlung.

Ein bedenklicher Mangel, welcher namentlich in dem national gefährdeten Osten hervortritt, ist es, daß wir zurzeit bei der inneren Kolonisation nur an die Landwirtschaft denken. Das Beispiel, welches uns die großen Kolonisatoren aus dem Hohenzollernhause gegeben haben, sollte auch heute wieder zur Nachahmung auffordern. Auch heute müssen wir neben den Landwirten in den kleineren Städten Handwerker und Gewerbetreibende ansetzen, sie in ihrem Gewerbe fördern und somit auch in den Städten den selbstständigen Mittelstand erhalten, der an seinem Hause und an seiner Werkstatt ebenso hängt, wie der Bauer an seiner Scholle. Wenn heute vielfach in den Kreisen unserer Nationalökonomen behauptet wird, die Zeit des Handwerks sei vorbei, so beweisen die Tatsachen das Gegenteil. Wir haben auch heute noch Handwerker, welche ohne jede Unterstützung von irgendeiner

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/55&oldid=- (Version vom 20.8.2021)