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seine Fassung und Begründung, worum man stritt. Es war zudem der Kantianismus, gegen den der theologische Realismus der Altgläubigen sich erhob. Und doch gehört gerade die Fruktifizierung des Kritizismus für die Theologie mit zu den größten Verdiensten der Ritschlschen Theologie. Denn erst seitdem die theologische Systematik mit Kant in Berührung gekommen ist, und soweit dieses geschah, ist sie methodisch geworden. Auch den Schülern und Fortsetzern der Erlanger Theologie hat die Kantsche Philosophie zum wenigsten zur methodischen Selbstbesinnung gedient, wenngleich es bei den meisten unter ihnen bei dieser rein negativen Anregung verblieben ist. Übrigens gilt es auch von der Erlanger, speziell von der Theologie Franks, daß sie in den achtziger Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Bedeutung stand. Trotz ihres stark konservativen Zuges läßt sich doch nicht verkennen, daß sich bereits von Hofmann her in ihr eine bewußte und entschlossene Umwandlung vom Traditionalismus der Orthodoxie zur modernen Wissenschaftlichkeit vollzog. Schließlich ist dieselbe Tendenz wie bei Ritschl in ihr wirksam, wenn auch in anderen Formen, nämlich die Wendung von dem starren Objektivismus der Orthodoxie zu dem modernen Subjektivitätsprinzip. Ohne Subjektivität keine Objektivität! Das war die große fruchtbare These der Erlanger „Erfahrungstheorie“. Diese Wendung zum Subjekt ward zwar von Ritschl kritischer, aber von Frank weit energischer vollzogen. Hier war Schleiermacher der Redivivus. Darum war es nicht zu verwundern, daß der Subjektivismus, den Frank Ritschl vorwarf, ihm selbst von seiten der Orthodoxie vorgeworfen wurde. Es war wirklich eine neue „Weise alte Wahrheit zu lehren“, die durch Hofmann und Frank in den Kreisen zur Geltung kam, die die Orthodoxie bei der Verbalinspiration festzuhalten hofften.

Weiterentwicklung des Ritschlianismus.

Es waren sowohl wissenschaftlich wie religiös-kirchlich starke, fruchtbare und charaktervolle Positionen, die Frank und Ritschl gegeneinander vertraten. Aber ein einfaches Stehenbleiben war nicht einmal ihren nächsten Schülern möglich. Die Theologie Ritschls enthielt ähnlich wie diejenige Schleiermachers, sehr verschiedenartige, ja entgegengesetzte Motive. Das zeigt ihre Weiterentwicklung, die hier nicht im einzelnen verfolgt werden kann. Einige seiner Schüler betonten stärker den biblizistischen Zug und entwickelten sich weiter nach rechts. Auch die von dem Meister schroff abgelehnte Mystik kam wieder hinein. Andere verfolgten mehr die subjektiv-erkenntnistheoretische Richtung, unter ihnen solche, die die „Metaphysik in der Theologie“ wieder zu Ehren brachten, freilich eine gegenüber der Erlanger Theologie wesentlich reduzierte. Ihre stärkste ethische Durchdringung, religiöse Verinnerlichung, erkenntniskritische Reinigung empfing die Theologie Ritschls durch den originellsten seiner Schüler, W. Herrmann, besonders durch energischen Rückgang auf Schleiermacher.

Weiterbildung der Frankschen Theologie.

Auch die Franksche Theologie wies trotz ihrer anscheinenden Geschlossenheit über sich hinaus und wurde in mannigfaltiger Weise fortgebildet. Dabei zeigte sich die Notwendigkeit einer grundleglichen Revision und Neubegründung

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 996. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/559&oldid=- (Version vom 20.8.2021)