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Seite verstehen, sich technisch und kaufmännisch vorwärtszubringen, welche damit den Beweis liefern, daß das Handwerk auch heute noch imstande ist, mit der Industrie zu konkurrieren. Es wird dringend notwendig sein, auch diesem Teil der inneren Kolonisation besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Arbeiteransiedlung.

Der schwierigste Teil der ganzen Frage ist die Arbeiteransiedlung. Die Versuche, welche auf diesem Gebiet bisher gemacht worden sind, sind vielfach mißglückt und wenn man bei uns im Osten die Arbeiter fragt, ob sie lieber Eigentümer werden wollen, so wird man in den meisten Fällen die Antwort erhalten: „Ich denke nicht daran; wozu soll ich die Verantwortung und das größere Risiko übernehmen.“ Unsere Arbeiter sind, wenigstens im Osten, bei der großen Naturalwirtschaft, welche sie führen, im Grunde nichts anderes als kleine Besitzer. Worauf es ankommt, das ist, ihnen die sichere Aussicht zu gewähren, auf der sozialen Stufenleiter allmählich emporsteigen zu können. Auch hierbei darf man nicht schematisieren, sondern man soll die Versuche ganz nach den Gewohnheiten und Bedürfnissen der jeweiligen Bezirke einrichten. Vielleicht würde es das beste sein, die Arbeiter zunächst nicht zu Eigentümern, sondern zu Pächtern zu machen, wie das in Mecklenburg mit bestem Erfolge geschehen ist, wo durch Pachtverleihung von Gemeindeland das Bedürfnis vielfach gedeckt worden ist. Auch für uns im preußischen Osten würde es von großer Bedeutung sein, das Heuerlingswesen, wie es in Hannover und Westfalen besteht, gründlich zu studieren. In diesen Landesteilen ist die Seßhaftmachung der alteingesessenen Arbeiterfamilien geglückt, und es findet dort nicht mehr ein so starker Abstrom vom Lande statt, wie wir ihn anderwärts beobachten.

Eine wesentliche Förderung des Aufsteigens unserer Landarbeiter verspreche ich mir von der jetzt vom Bunde der Landwirte ins Leben gerufenen Prämiensparkasse, bei welcher der Arbeitgeber den Arbeitnehmer seinerseits mit Beiträgen unterstützt und dem letzteren so die Möglichkeit verschafft, in verhältnismäßig jungen Jahren über ein größeres Kapital zu verfügen.

Mit besonderem Nachdruck muß noch darauf hingewiesen werden, daß wir zurzeit, vielleicht aber zum letzten Male, die Möglichkeit haben, Hunderttausende von deutschen Rückwanderern aus den alten deutschen Siedlungen in Rußland zu bekommen, welche sowohl als Arbeiter, wie als Ansiedler für uns von größtem Wert sein können. Es ist in hohem Maße beklagenswert, daß diese unaufhaltsame Abwanderung zum größten Teile nicht in das alte Stammland zurückgeht, sondern von einer großen Schiffahrtsgesellschaft im rein-einseitigen finanziellen Interesse nach Amerika abgeleitet wird.

Nun tritt uns aber bei der gesamten inneren Kolonisation noch eine außerordentlich schwierige Frage auf finanziellem Gebiet entgegen. Der Kurs unserer Rentenbriefe und Pfandbriefe ist seit Jahren ein derartig kläglicher, die Kursverluste sind so enorm, daß damit das ganze Werk der inneren Kolonisation in Frage gestellt wird. Hier dürfte ernstlich zu überlegen sein, ob es denn notwendig ist, daß wir diese Papiere zu einem Spekulationsobjekt der Börse machen. Wenn die Privatbanken nicht in der Lage sind, das volkswirtschaftlich Nötige zu leisten auf diesem Gebiet, dann wäre es doch

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/56&oldid=- (Version vom 20.8.2021)