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denen nur auf apologetischem Wege beizukommen ist, und es ist zweifellos, daß viele auf dem Umweg über die Apologetik wieder den Weg zum Evangelium und zur Kirche gefunden haben. Noch niemals hat die evangelische Kirche in Deutschland eine derartige apologetische Ära erlebt wie in dem letzten halben Menschenalter. In die kirchliche Arbeit ist dadurch ein neues geistiges Element, ein neues Kraftbewußtsein, ein neues Moment von Zeitgemäßheit hineingekommen, das sich so leicht nicht wieder verlieren wird. Überhaupt hängt die apologetische Bewegung innerlich mit der neuen Wendung zur Religion zusammen. Sie war nicht ohne den Optimismus möglich, dem die Zukunft gehört.

Äußere Mission.

Zum mindesten gleichen Schritt mit der Entwicklung der Inneren hat die der Äußeren Mission gehalten. Vergegenwärtigt man sich, mit welchen Schwierigkeiten der Missionsgedanke bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein noch bei kirchlichen Kreisen, bis in die jüngste Zeit hinein bei der öffentlichen Meinung zu kämpfen gehabt hat, so staunt man über das Erreichte und mehr noch über das im Werden Begriffene. Zwar wird die Missionsarbeit der deutschen evangelischen Kirche noch auf lange hinaus einen Vergleich mit der englisch-amerikanischen nicht aushalten können. Das liegt nicht nur an den ungünstigen kirchlichen Bedingungen, unter denen bei uns von alters her die Mission gearbeitet hat, sondern vor allem daran, daß Deutschland bislang nicht im entferntesten die politische und kulturelle überseeische Einflußsphäre besitzt, geschweige besessen hat, wie jene Länder. Denn ohne Zweifel hängt der enorme Aufschwung der Mission auf das engste mit dem modernen Weltverkehr zusammen. Seitdem das Deutsche Reich Kolonien erworben hat, Weltpolitik treibt, der deutsche Handel zum Welthandel geworden ist, ist die deutsche evangelische Mission in das Stadium eingetreten, in welchem die englisch-amerikanische Mission schon länger steht: der Entwicklung zur Weltmission. Das zeigt sich nicht bloß an der außerordentlichen Erweiterung ihrer Arbeitsgebiete auf allen Erdteilen, sondern auch an der auffallenden Zunahme des Missionsinteresses in der Heimat.

Zunahme des Missionsinteresses.

Während noch bis vor kurzer Zeit in Deutschland die öffentliche Meinung, allerdings zum Teil unter dem Eindruck der bekannten fälschlichen Beschuldigungen unserer Missionen gelegentlich der chinesischen Wirren und des Hererokrieges, zum Teil infolge der eingewurzelten Unwissenheit und Gleichgültigkeit unserer gebildeten Kreise in Missionsangelegenheiten, eine durchaus kühle und ablehnende Haltung gegenüber den Aufgaben der Heidenmissionen einnahm, so daß das ganze Werk eigentlich von dem Interesse einzelner kleiner Kreise getragen wurde, hat sich hierin neuerdings ein Umschwung vollzogen, welcher beginnt, den deutschen Missionen endlich aus ihrer beschränkten Lage herauszuhelfen und sie für ihre Weltaufgabe, die sie gemeinsam mit den übrigen Missionen hat, flott zu machen. Zu dieser Wendung, die in der Jubiläumsspende für den Kaiser zum Ausdruck kam, haben verschiedene Umstände und Faktoren beigetragen. In erster Linie auch der geistige Einfluß der englisch-amerikanischen Missionsbewegung, der besonders in dem Laienmissionsbund und dem Studentenmissionsbund

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1013. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/576&oldid=- (Version vom 20.8.2021)