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und den Weltmissionskongressen weitere Kreise Deutschlands erreicht hat und immer weiter vordringt. Sodann beginnt in den Kreisen der Kolonialfreunde und Kolonialverwaltung allmählich das Verständnis für die Kulturarbeit der Mission zu wachsen. Dazu kommt, daß die wissenschaftliche Bedeutung der Mission (Linguistik, Völkerkunde, Religionsgeschichte usw.) immer mehr zur Anerkennung kommt. Auf diese Weise ist von zunächst rein nationalen und kulturellen Gesichtspunkten aus das Interesse für die Mission im Wachsen begriffen, wenn auch noch lange nicht so allgemein, wie zu wünschen wäre.

Die veränderte Lage bleibt nicht ohne Einfluß auf die Mission selbst. Nicht daß sie sich in der Verfolgung dieser religiösen Ziele beirren ließe. Wohl aber bringen es die Verhältnisse mit sich, daß sie sich der Wechselwirkung, in der ihre Arbeit mit den erwähnten weltlichen Faktoren steht, deutlicher bewußt wird und stärker Rechnung trägt. Mit anderen Worten: die pietistische Praxis und Tendenz früherer Zeiten weicht in der gegenwärtigen Missionsmethode immer mehr einer umfassenderen Arbeitsweise. „Nicht Einzelbelehrung, sondern Volkschristianisierung“ ist das letzte Ziel. Damit steht die Schularbeit im Vordergrunde und folgeweise die Pflege deutscher Kultur und Sitte. Man sieht, auch der Missionsgedanke ist in einer Entwicklung begriffen, welche zu seiner Erweiterung führt.

Gustav-Adolf-Verein und Evangel. Bund.

Seit dem Jahre 1890, wo die definitive Arbeitstrennung zwischen dem Gustav-Adolf-Verein und dem 1886 gegründeten Evangelischen Bunde erfolgte, haben diese beiden mächtigen evangelischen Organisationen schiedlich-friedlich nebeneinander gearbeitet; jener im Dienste der großen Aufgabe, der Pflege der deutschen evangelischen Diaspora, vor allem in Österreich, Ungarn und Siebenbürgen; dieser in Wahrnehmung der deutsch-protestantischen Interessen gegenüber dem Ultramontanismus.

Was der Gustav-Adolf-Verein gerade in den letzten Jahrzehnten für die Sammlung der zerstreuten Protestanten in katholischen Landen, für die gottesdienstliche Versorgung, für die Erhaltung und Neubegründung evangelischer Kirchen, Gemeinden und Gemeindeschulen, für die moralische Stärkung der Diasporageistlichen und endlich insbesondere für die Versorgung der in der Los-von-Rom-Bewegung Übergetretenen geleistet hat, ist staunenswert. Die Rückwirkungen dieser Arbeit auf das heimatliche kirchliche Leben und der Art seines Wirkens auf das evangelische Gemeingefühl sind Imponderabilien bedeutsamster Art. Daneben, getrennt marschierend, vereint schlagend, ist der Evangelische Bund ein Hauptträger der ideellen Einheit des Protestantismus geworden, indem er in noch stärkerem Maße wie der Gustav-Adolf-Verein nicht nur die konfessionellen, sondern auch die religiös-kirchlichen Gegensätze des Protestantismus, unbeirrt durch den Widerspruch und die Bekämpfung der Parteimänner, zu überwinden strebt. In derselben Richtung arbeitet erfreulicherweise die 1910 gegründete „Konferenz für evangelische Gemeindearbeit“, deren jährlich veranstaltete „Evangelischen Gemeindetage“ in immer stärkeren Maße den Mittelpunkt der von Sulze in Fluß gebrachten Bestrebungen bilden, welche der Erhaltung unserer Kirche durch Belebung der Gemeinden und durch engeren Zusammenschluß der Gemeindeglieder dienen wollen.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1014. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/577&oldid=- (Version vom 20.8.2021)