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ein stetiges Wachstum innerer Befruchtung des Staatslebens seitens der Kirche treten. Umgekehrt würde die Kirche in diesem erweiterten Sinne durch den Staat für ihre Arbeit und Aufgaben Förderung und Anregung empfangen. Endlich würde das erreicht, was ja doch zuletzt ein hohes Ziel aller kirchlichen Arbeit sein muß: innerliche Durchdringung des Staatslebens mit dem Geiste des Christentums, Volkschristianisierung im besten und tiefsten Sinne des Wortes. In diesem Sinne hat die Kirche allerdings die Aufgabe, im „Staate aufzugehen“. Denkbar wäre ein so innerliche ethisches Verhältnis beider, daß die Lösung der äußerlichen Verbindung nur noch eine Formalität bedeuten würde.

Das Ziel.

Vertiefung und Erweiterung des evangelischen Kirchengedankens und Kirchentums – das ist die Richtung, in der unsere Aufgaben liegen. Nur so kann die kirchliche Krisis überwunden und das kirchliche Leben neu begründet werden. Eine große Anzahl von Einzelaufgaben liegen hier, die nicht besprochen werden können.

Die Kirche ist bereits in das so bezeichnete Entwickelungsstadium eingetreten. Vielleicht schon energischer und weiter, als wir augenblicklich noch unter dem Einfluß der Krisis sehen können.

Noch kein Hohenzoller ist vor so schwierige kirchliche Aufgaben als evangelischer Oberbischof gestellt worden als Wilhelm II. Unter seine Regierung fällt der Höhepunkt der Krisis und zugleich der Beginn eines kirchlichen Weiterbildungsprozesses von höchster Bedeutung. Mit vollem Bewußtsein der Lage der Dinge waltet der Monarch seines hohen Amtes. Mit vorsichtiger, aber fester Hand lenkt er das Steuer dem klar erkannten Ziele zu. Möchte es ihm beschieden sein, seinem evangelischen Volke die Kirche der Reformation in neuer gefestigter Gestalt wiederzugeben. Wir schließen mit den Worten, mit denen ein bedeutender Kenner der kirchlichen Situation, der heimgegangene Bürgermeister Burchard, seine ungehaltene, für die Begrüßung Seiner Majestät des Kaisers gelegentlich der Einweihung der großen St. Michaeliskirche in Hamburg bestimmte Rede in dem hinterlassenen Manuskript geschlossen hat:

„Es wäre zu begrüßen, wenn der auf politischem Gebiete längst als segensreich erkannte deutsche Einheitsgedanke in wohlerwogener Begrenzung auch für weite Gebiete des evangelisch-kirchlichen Lebens in unserem Vaterlande fruchtbar werden möchte.“

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1022. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/585&oldid=- (Version vom 20.8.2021)