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andererseits aber können sich hieraus auch Schwierigkeiten entwickeln, sofern entweder ungünstige Futter- oder Ernteverhältnisse die landwirtschaftlichen Rohstoffe an Menge oder Beschaffenheit verringern und daher verteuern oder aber technische oder wirtschaftliche Schwierigkeiten den Absatz der in den landwirtschaftlichen Gewerbebetrieben fertig gestellten Erzeugnisse erschweren. Die Landwirtschaft und die landwirtschaftlichen Gewerbe sind also beide eng auf einander angewiesen, in guten wie in schlechten Zeiten.

Außerdem greift aber auch die Nahrungsmittelgesetzgebung sowie die Steuergesetzgebung unmittelbar in die landwirtschaftlichen Gewerbe ein. Denn die Erzeugnisse der Molkereien, nämlich Milch, Butter, Käse, ferner der Rübenzucker, die Kartoffelstärke und der Stärkezucker, auch die Kartoffelflocken, die Trinkbranntweine und das Bier sind wichtige Nahrungs- oder Genußmittel und daher den Bestimmungen des Nahrungsmittelgesetzes unterworfen. Der Rübenzucker, der Branntwein und das Bier aber sind seit alter Zeit Gegenstände der Besteuerung und daher den geltenden Steuergesetzen unterworfen. Die Entwicklung der letzten 25 Jahre ist nach allen diesen Richtungen hin von großer Bedeutung für die hier in Frage stehenden Gewerbe gewesen.

Die Molkereien.

Die Erzeugnisse der Molkereien sind in erster Linie Milch, Butter und Käse. Die Entwicklung der Dinge in den letzten Jahrzehnten hat es aber mit sich gebracht, daß die Milch von ihren Erzeugungsstätten heute nicht mehr wie früher nur als frische Milch, als Sahne oder auch als saure Milch, Magermilch, Buttermilch oder auch nach Abscheidung des Fettes und des Käsestoffs als Molken abgegeben wird. Vielmehr beschäftigen die Molkereien sich heute auch mit der Herstellung und Abgabe von Milch, die durch Erhitzen auf bestimmte Wärmegrade haltbar gemacht ist und dann als pasteurisierte, sterilisierte oder Dauermilch abgegeben wird. Oder sie nehmen mit der Milch auch gewisse Veränderungen vor, die im wesentlichen darauf abzielen, die Kuhmilch der Frauenmilch ähnlicher und damit auch diese Milch zur Ernährung der Säuglinge geeigneter zu machen. Die so behandelten oder unter besonderer Vorsicht gewonnenen Milchsorten kommen als Kindermilch oder Vorzugsmilch oder unter anderen Bezeichnungen in den Verkehr. Ferner befassen die Molkereien sich neuerdings vielfach auch mit der Herstellung gegorener Milchgetränke, die dann als Kefir oder Joghurt oder auch unter anderen Bezeichnungen abgegeben werden. Auch die Herstellung eingedickter (kondensierter) Milch, von Trockenmilch oder von Milchpulver geschieht heute in größerem Umfange als noch vor wenigen Jahrzehnten. Endlich gewinnen manche Molkereien auch noch als letztes Erzeugnis den Milchzucker. Diese große Mannigfaltigkeit der Erzeugnisse erklärt es ohne weiteres, daß der ganze Betrieb solcher Molkereien heute völlig anders ist als früher. Die Molkereien befinden sich augenblicklich in einem Übergang zu Betrieben, die ohne sachverständige Leitung durch chemische und bakteriologische Fachmänner nicht mehr geführt werden können. Es wird daher über kurz oder lang die Zeit kommen, wo die Molkereien aufhören werden in dem ursprünglichen Sinne noch landwirtschaftliche Gewerbsanstalten zu sein und wo sie vielmehr mit größerem Recht den rein gewerblichen Anstalten zugerechnet werden müssen.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/59&oldid=- (Version vom 20.8.2021)