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Eingreifen Wilhelms II.

So schmerzlich nun auch das gesamte deutsche Volk den Hingang des greisen Kaisers beklagen mochte; so niederschmetternd auch das tragische Geschick seines ihm so bald im Tode folgenden Sohnes, an dessen Heldengestalt sich so frohe Hoffnungen geknüpft hatten, das schwergeprüfte Reich treffen mochte: für die Aufgabe, wie sie auf kirchenpolitischem Gebiete des neuen Herrschers harrte, war eine jugendliche, ihrer Kraft und der Zeit vertrauende Persönlichkeit, die noch nicht durch zuviele bittere Erfahrungen um ihren tatenfrohen Optimismus gebracht war, ganz hervorragend geeignet. In wie glänzender Weise der dritte Kaiser diese in ihn gesetzten Hoffnungen nicht nur erfüllt, sondern in mehr als einer Hinsicht aufs erfreulichste übertroffen hat, das kann heute um so eher ohne jeden Byzantinismus festgestellt werden, als es längst nicht nur durch die deutschen Katholiken, sondern auch durch viele andere, die für die religiöse Frage Herz und Verständnis haben, mit innigem Danke anerkannt ist. Wie Wilhelm II. die bei seinem Regierungsantritte größte vom Ausland drohende Gefahr dadurch beschwor, daß er dem Kaiser von Rußland als erstem, vor allen ausländischen und inländischen Herrschern, seinen Besuch machte, so fand er auch die richtigen Worte und Taten, um den seit anderthalb Jahrzehnten alle inneren Verhältnisse vergiftenden Unfrieden zu überwinden. In der sehr freundlich gehaltenen Antwort auf die erwähnte bischöfliche Adresse erklärte der Monarch (7. November 1888): „Mein Leben und Meine Kraft gehören Meinem Volke, dessen Wohlfahrt zu fördern die schönste Aufgabe Meines königlichen Berufes ist. Daß Ich die Glaubensfreiheit Meiner katholischen Untertanen durch Recht und Gesetz gesichert weiß, stärkt Meine Zuversicht auf dauernde Erhaltung des kirchlichen Friedens.“

Militärfreiheit der kath. Theologen.

Diese gesetzlichen Grundlagen des Friedens zu festigen und zu erweitern war seitdem des Kaisers ebenso eifriges wie erfolgreiches Bestreben. Vielleicht kein anderes Gesetz hat ihm so viel begeisterte und dankbare Sympathien im katholischen Volke verschafft, wie jenes, das bald nach Antritt seiner Regierung die Befreiung der katholischen Geistlichen vom aktiven Militärdienst verfügte. Daß ein protestantischer Herrscher, dem zudem der Ruf kriegerischer Gesinnung vorausgegangen war, für die Idee des katholischen Priestertums ein so zartes Verständnis zeige, diese Verbindung von Starkem und Mildem war eine freudige Überraschung für weite Kreise. Nicht als ob die jungen katholischen Theologen ihr „freiwilliges“ Jahr „unfreiwillig“ gedient hätten; wer Gelegenheit hatte, sie in und außer dem Dienste zu beobachten, der konnte sich überzeugen, daß sie mit nicht weniger Ehre und Stolz des Königs Rock getragen, als Studierende anderer Fakultäten, und anerkennende Urteile von Offizieren hörte man über sie so gut wie über andere. Aber man muß es miterlebt haben, wie die Aushebung der bis dahin zum Dienst mit der Waffe nicht herangezogenen Kandidaten des Priestertums von dem einfachen Volke hier mit Schmerz, dort mit lauter Entrüstung aufgenommen und als Symptom eines völlig unchristlichen Geistes verabscheut wurde. War es ja nicht nur ein Grundsatz des alten Kirchenrechts, daß der christliche Priester kein Blut vergießen dürfe und daß, wer dies getan, ohne Dispens nicht in den geistlichen Stand eintreten könne. Das Volk,

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1027. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/590&oldid=- (Version vom 14.2.2021)