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in Österreich gewesen. Den Katholiken wird darum nicht nur das Interesse für den Frieden des Vaterlandes, sondern auch die Klugheit – um nachher nicht schmerzlich enttäuscht zu sein – verbieten, irgend etwas zu tun, was als „demagogische Aufpeitschung der Volksleidenschaften“ bezeichnet werden könnte, um die Wiederzulassung der Jesuiten zu erwirken. Man erinnert sich noch der bitteren Worte J. A. Möhlers, der seine Glaubensgenossen tadelte, die von den Jesuiten einen neuen Himmel und eine neue Erde erwarten, „während sie selbst auf dem Ruhepolster verfaulen“. Auch der streng kirchliche Dr. A. Ruland ist in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts dem Rufe nach Redemtoristen entgegengetreten mit der Versicherung, der fränkische Klerus sei tüchtig genug, um die Lösung der Aufgaben zu übernehmen, die man jenem Orden zuweisen wolle, worauf freilich seine geistlichen Mitbrüder ihm sehr heftig widersprachen. Allein wenn die heutigen Wortführer der Katholiken nicht wie jene vor zwei Menschenaltern im Frankfurter Parlamente der Ansicht sind, man könne, um nicht die Akatholiken zu reizen, auf die Jesuiten verzichten; wenn das Volk meint, der Weltklerus und die bisher zugelassenen religiösen Orden seien nicht imstande, den gesteigerten Ansprüchen der Gegenwart zu genügen; wenn der Klerus selbstlos genug ist, diese Insolvenzerklärung zu bestätigen, indem er auch seinerseits nach den Jesuiten verlangt: so sollten die Protestanten ihren Gegnern einen so wirksamen Agitationsstoff um so eher entziehen, als 1. die Jesuiten tatsächlich doch bereits in zahlreichen Vertretern im Reiche tätig und die gegen sie getroffenen Vorsichtsmaßregeln in ihrer Wirkung augenscheinlich gleich Null sind; 2. alle Aussicht besteht, daß die nahen, in Konkurrenz mit dem Pfarrklerus tretenden Jesuiten von diesem bald nicht mehr wie die fernen vergöttert, sondern nach dem Vorbild früherer Zeiten gelegentlich auch als lästige Rivalen scheel angesehen würden, und 3. es jedem einzelnen und jeder Genossenschaft stets zum Vorteil gereichte, mit der Gloriole des Martyriums geschmückt zu sein. Auch wäre es durchaus falsch, zu meinen, die Jesuiten seien in jeder Hinsicht noch die alten und alle einer Richtung. Was ist heutzutage noch einheitlich? Kaum eine theologische Fakultät, kaum ein Domkapitel, kaum der Klerus einer kleinen Diözese. Um wieviel weniger ein internationaler Orden – trotz der Verpflichtung, den Gehorsam soweit zu treiben, tanquam cadaver esset! Mag es immerhin, was nicht geleugnet werden kann, einzelne Jesuiten geben, die anscheinend durch alle Erfahrungen ihrer Gesellschaft nicht gewitzigt wurden; darum dem ganzen Orden nachsagen, er habe in 300 Jahren nichts gelernt und nichts vergessen, widerspräche evidenten Tatsachen. Der Unterschied, welcher etwa zwischen den Leistungen des trefflichen Bollandistenkollegiums in Brüssel einerseits, und gewissen Lukubrationen der Civiltà cattolica oder der Stimmen aus Maria Laach andererseits besteht, ist beinahe so groß, als er innerhalb der katholischen Kirche überhaupt sein kann. Freilich ist eine Zulassung nach Auswahl untunlich. Immerhin aber wäre es schade, wollte man Männer zurückstoßen, welche bereit und gesonnen sind, ehrlich mitzuarbeiten an der Bildung und Veredelung unseres Volkes, an der Wohlfahrt und Größe des Reiches. Zu viele Arbeiter kann es da gar nie geben.

Vereinswesen und Konfession.

Von dem mit den Orden in einer gewissen Verwandtschaft stehenden Bruderschafts- und

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1036. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/599&oldid=- (Version vom 14.2.2021)