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Die Tagespresse.

Nachdem die „gute“ Presse gelegentlich als Hilfsmittel der Seelsorge bezeichnet wurde, darf sie von einer Umschau über das kirchliche Leben nicht unberücksichtigt gelassen werden. Katholische Tagesblätter gab es erst, nachdem durch Miß- und Übergriffe aufs kirchliche Gebiet seitens der Regierungen, namentlich der preußischen, der Konfessionalismus geweckt worden war. Ein nie geahntes Wachstum verdankte diese Presse dem Kulturkampf, wobei leider die Qualität nicht selten im umgekehrten Verhältnis zur Quantität stand. Die schroffe Verletzung des religiösen Empfindens wühlte die konfessionellen Leidenschaften in ihren Tiefen auf, und im Namen der Ecclesia militans wurden, dank den Errungenschaften von 1848, bisweilen Waffen geschwungen, denen man nur allzusehr anmerkte, daß sie den Arsenalen der Kinder dieser Welt, und nicht der besten, entlehnt waren. Wer nicht in diesen Ton einstimmte, wer gar ihn laut zu mißbilligen wagte, galt als schlechter Katholik, als Verräter. Diese Presse gemahnte, wie ein mitfühlender Zeuge klagte, an eine kurzsichtige, süffisante Jugend, die über „verflossene“ Leute und Standpunkte hochmögend, ohne jede Regung von Gemüt und Dankbarkeit, hinwegschreitet, mit der auf Anstand haltende Elemente am liebsten nichts zu tun haben. Mit der Beilegung des Kulturkampfes wurde es auch hierin wenigstens bei den größeren Organen wesentlich besser. Im Norden des Reiches hat vor allem die Kölnische Volkszeitung sich durchweg eines Tones beflissen, der eines für religiöse Interessen kämpfenden Blattes würdig ist, und auch die Berliner Germania hat wenigstens vorwiegend, trotz zeitweiliger Reminiszenzen ihrer frühesten Zeit, allen billigen Anforderungen entsprochen. Der Süden hat diesen beiden großen katholischen Tagesblättern, die auch in ihrer Auffassung zumeist großzügig waren, bis zur Stunde nichts Ebenbürtiges an die Seite zu stellen. Selbst in Ländern, wo der Kulturkampf sich so gut als gar nicht fühlbar machte, führt auch die sich katholisch nennende Presse noch heute nicht selten eine Sprache, die sie nicht als Dienerin und Gehilfin, sondern als Herrin kirchlicher Institutionen und Personen erscheinen läßt und den von ihr bekämpften und verabscheuten Organen in nichts nachgibt, nicht zur Ehre und zum Vorteil der katholischen Sache. Aber im ganzen können wir Katholiken immerhin einen Aufschwung unserer Presse konstatieren, die sich von jener der siebziger und achtziger Jahre jedenfalls dadurch unterscheidet, daß, mag sie auch gegenüber anderen Fraktionen und religiösen Richtungen ein gerüttelt Maß von Mißtrauen und bisweilen Heftigkeit zeigen, das leider in dem Verhalten der Presse jener Parteien nur zu oft seine Rechtfertigung oder wenigstens Erklärung findet, doch der Reichsregierung im ganzen mit einem Vertrauen entgegengekommen wird, das man vor den Tagen Wilhelms II. vergeblich wünschte. Mit Befriedigung wurde s. Z. von einem strengen katholischen Beurteiler das Verhalten der fraglichen Presse in dem Streite um das Protektorat im Orient (1898) anerkannt, in welchem die mit Weisheit und überlegener Ruhe geführte Politik der Reichsregierung eine wertvolle Stütze gefunden habe. Es wurde daraus die Hoffnung abgeleitet, „daß das aus der Konfliktszeit restierende Maß von Mißtrauen und Verbitterung immer mehr aus der parlamentarischen und journalistischen Behandlung der öffentlichen Fragen verschwinden und einer sachlichen Erörterung Platz machen werde“. Diese Hoffnung

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1042. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/605&oldid=- (Version vom 14.2.2021)