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gegründeten katholisch-theologischen Fakultäten ausging. Diese sind für die geistige Machtstellung des Katholizismus in Deutschland die wichtigsten und bedeutsamsten Institute geworden und haben seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts dessen geistiges Leben wieder gehoben. Gleichwohl konnten sie dank den Denunziationen und Verdächtigungen impotenten Neides selten die volle Gunst hierarchischer Kreise erlangen, und auch die heftigste Befehdung seitens ausgesprochener Kirchenfeinde konnte die Überzeugung von der Wichtigkeit dieser gelehrten Körperschaften für die Kirche nicht zur Herrschaft bringen. Dieses Mißtrauen wurde noch gesteigert, als infolge der Beschlüsse des Vatikanischen Konzils vom 18. Juli 1870 mehrere Mitglieder einzelner Fakultäten von der Kirche sich lossagten und dem Altkatholizismus sich anschlossen. Auf der einen Seite wilder Siegesjubel, der die unterlegene Richtung gelegentlich als nicht mehr katholisch und fast als rechtlos behandeln zu dürfen glaubte, auf der anderen heftige Opposition und völlige Separation, und dazwischen die kleine Schar derer, die mit keinem der beiden Extreme zu gehen sich entschließen konnten, die nun zu einem Kampf nach zwei Fronten sich gezwungen sahen und für ihre literarischen Kundgebungen bittere Befehdung von rechts und links zu gewärtigen hatten. Dazu kam noch der unglückselige Kirchenstreit der siebziger Jahre, der die ganze geistige Kraft und alles Interesse weitester katholischer Kreise auf den Kampf des Tages konzentrierte und für wissenschaftliche Werke kein Publikum übrigließ, da Sinn und Zeit gleichmäßig für solches Studium fehlten. Wurde es ja einer streng wissenschaftlichen theologischen Zeitschrift allen Ernstes verübelt, daß sie nicht auch von ihrem seit einem halben Jahrhundert bewährten Programm ab- und in der lärmenden Erörterung von Tagesfragen aufging. So hatte eine friedliche Gelehrtenarbeit aus zwei Gründen gegen Mißtrauen und Geringschätzung zu kämpfen; die ganze Lage mußte niederdrückend und entmutigend wirken. Und wenn mit der Zeit die Gegensätze sich etwas zu mildern anfingen, so wurde immer wieder für ihre Neubelebung und Wacherhaltung gesorgt. Was nicht ganz tapfere Naturen sind, halten sich unter solchen Umständen zurück und vermeiden es, durch literarische Produktion sich Verdächtigung von beiden Seiten zuzuziehen. Hieraus erklärt sich namentlich die quantitativ und von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen auch qualitativ so beklagenswert geringe Pflege der spekulativen Theologie während des letzten Menschenalters. Hierin dürfte neben der gesteigerten Empfindlichkeit und Reizbarkeit des katholischen Volksteils der hauptsächlichste Schaden des Kulturkampfes für die Kirche liegen.

Ihre Bedeutung.

Man wollte die theologischen Fakultäten in Widerspruch zu dem Konzil von Trient finden, das die Bildung der Kandidaten des Priestertums in Seminaren angeordnet habe. Und doch ist klar bewiesen, daß dieses Dekret nur da eingreifen will, wo keine Universitäten mit theologischen Fakultäten bestehen. Die Regierungen und auch die meisten Bischöfe Deutschlands aber haben stets ihre schützende Hand über den gefährdeten Kollegien gehalten. Sie haben damit den deutschen Katholiken, aber zugleich auch dem gesamten Vaterlande, einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Da die Universitäten nun einmal die Zentren des geistigen Lebens sind, hat es für die konfessionelle Minderheit schon an sich

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1045. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/608&oldid=- (Version vom 21.8.2021)