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Die Professoren.

Besetzung der Lehrstühle.

In dem ungestörten Frieden eines Vierteljahrhunderts haben die akademischen Lehrer, vom Staat geschützt und gefördert, ihre Saaten ausstreuen und dem Staat ein neues Geschlecht von Theologen, Richtern, Ärzten, Lehrern geben können. Die beiden Grundpfeiler der Universität, Freiheit der Forschung und der Lehre und Selbstverwaltung, stehen unerschüttert. Bisweilen ruft die Neubesetzung der Lehrstühle zwischen den Fakultäten und der vorgesetzten Behörde Meinungsverschiedenheiten hervor, die in wichtigeren Fällen auch ihren Weg in die Öffentlichkeit finden. Solche Differenzen entspringen dem Bewußtsein, daß den Universitäten, wenn auch nicht formell, so doch traditionell die gleiche Verantwortlichkeit für die Auswahl der Lehrer und Führer der Jugend obliege, wie der vorgeordneten Instanz. Die Empfindung, daß eine Nichtberücksichtigung ihres staatlich anerkannten und eingegliederten Organismus für sie eine Verletzung dieses Organismus bedeute, ist als Ausfluß eines über Rechte und Pflichten eifersüchtig wachenden Ehrgefühls trotz gelegentlicher Irrtümer hoch zu bewerten. Die richtige Besetzung der Lehrstühle ist eine schwierige Sache. Examina entscheiden nicht und können nicht entscheiden. Es ist möglich, daß das Ministerium eine geeignetere Wahl trifft als die Fakultät vorgeschlagen hat. Es ist aber auch möglich, daß es dabei eine weniger glückliche Hand zeigt, ja es mag sein, daß beide, Fakultät und Ministerium, sich manchmal gemeinsam irren; im ersten Falle werden die Wellen sich schnell beruhigen, wenn tägliche Beobachtung die Wahl des neuen Amtsgenossen als richtig erweist; im zweiten Falle wird jede Klage eines Studierenden, jeder Fehler des Entsendeten zu neuen Betrachtungen Anlaß geben und alte Wunden aufreißen.

Die Unabhängigkeit der Professoren ist durch die materielle Besser- und Sicherstellung erheblich verstärkt worden.

Nicht nur, daß die Fonds zur Erhöhung der Gehälter vermehrt worden sind; höher ist die Einführung regelmäßiger Gehaltssätze und das Aufrücken von Stufe zu Stufe zu veranschlagen, das dem einzelnen eine von jeder scheinbaren Willkür oder Bitte unabhängige Sicherung seiner Lage gewährt. Die mit dieser Besserstellung verbundene Verkürzung besonders hoher Kollegienhonorare war, wie wohl manchen Anfechtungen ausgesetzt, durch die ausgleichende Gerechtigkeit, wie durch die Tatsache gerechtfertigt, daß die Höhe der Kollegiengelder in vielen Fällen weniger von der wirklichen Tüchtigkeit oder Anziehungskraft des Dozenten als von äußeren Umständen, Mitgliedschaft der Prüfungskommission, Beliebtheit der Universitätsstadt und der privilegierten Stellung selbst abhängt. Ein gänzlicher Wegfall der Kollegiengelder würde aber einen so großen Eingriff in die Eigenheit des akademischen Lebens bedeuten, daß davon ernste Gefahren für die Stellung der akademischen Lehrer, namentlich nach ihrer materiellen Seite hin, zu befürchten wären. Dieser gesicherten Unabhängigkeit der Professoren gegenüber bedeutet es keinen erheblichen Nachteil, wenn ihr Titel, der lange Zeit nur durch literarische Arbeit gewonnen werden konnte und durch sie sein Ansehen empfing, jetzt als Altersprädikat

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1057. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/620&oldid=- (Version vom 9.3.2019)