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der technischen Hochschule gezwungen, ihre Einrichtungen denen der Universität anzupassen, um diesen Übergang zu erleichtern. Wenn auch dieses Mißverhältnis durch persönliches Entgegenkommen wohl erleichtert wurde, gründliche Abhilfe scheiterte an überlieferter Gewohnheit. Daß der leidige Zustand nicht mit kleinen Mitteln hingefristet wurde, wie es in solchen Fällen gern geschieht, daß hier ein großer Schritt die Schranken brach, das ist dem kaiserlichen Willen zu danken.

Nachdem lange, im Stillen gepflogene Verhandlungen zwischen den deutschen Hochschulen die Sicherheit geliefert hatten, daß die Einzelstaaten in einheitlicher Weise die Angelegenheit zu ordnen gewillt seien, erfolgte bei einem bedeutungsvollen Anlaß die Kundgebung der kaiserlichen Entschließung. Beim Jahrhundertfeste der Berliner technischen Hochschule 1899 wurde den preußischen technischen Hochschulen mit dem Rechte, durch akademische Prüfungen den Titel eines Diplom-Ingenieurs zu verleihen, auch das Promotionsrecht gewährt. Die anderen deutschen Staaten folgten mit im Wesentlichen übereinstimmenden Entschließungen ihrer Monarchen und Regierungen. Eine stärkere Abweichung besteht nur, insofern Bayern den Titel Doktor der technischen Wissenschaften verleiht, der aber durch den Titel Doktor-Ingenieur ersetzbar ist. Auch der sonderbar anmutenden Vorschrift Preußens, daß die technischen akademischen Titel in deutscher Schrift geschrieben werden sollen, haben sich die Bundesstaaten nicht einheitlich angeschlossen. Einheitlich ist vor allem die wichtige Bestimmung, daß der technische Doktor nur nach Erwerbung des Titels Diplomingenieur erreicht werden kann. Nicht wie der Doktor der Universitäten verbürgt der der technischen Hochschulen nur akademische Bildung im allgemeinen bei freier Wahl der Einzelstudien, sondern auch das abgeschlossene Studium eines technischen Faches: Wer Doktor-Ingenieur ist, muß zunächst ein ganzer Techniker sein.

Die Bedeutung dieser Titelverleihung liegt nun sicherlich nicht allein in der Beseitigung der oben betonten Unzuträglichkeiten auf dem Gebiete des Studiums der Chemie, sondern in erster Linie in der nachdrücklichen Bekundung der Stellung, die der Technik im deutschen Geistesleben gebührt. Darin liegt eben das Große dieses Schrittes, daß er mit der Beseitigung gegenwärtiger Mängel der zukünftigen Entwicklung neue Bahnen eröffnet.

Wie dringlich aber die Beseitigung dieser Mängel war, zeigt schon jetzt der Erfolg. Bis zum Ende des Sommersemesters 1912 hatten an den sämtlichen Hochschulen 1624 Promotionen (abgesehen von den Ehrenpromotionen) stattgefunden, die meisten in München, Dresden und Berlin. Etwa die Hälfte dieser Promotionen (864) entfällt auf die chemischen Abteilungen.

Die Diplom-Ingenieur-Prüfung hat sich in so ausgedehntem Maße eingelebt, daß bereits ein weitverzweigter Verein deutscher Diplomingenieure deren Interessen einerseits gegenüber den nicht akademisch gebildeten Technikern vertritt, andererseits gegenüber den Staatsbeamten, die nach der Diplomprüfung die Staatshauptprüfung abgelegt haben.

Innere Auseinandersetzungen.

Während dieser äußeren Erfolge der Entwicklung der technischen Hochschulen hat es ihnen an inneren Spannungen und Auseinandersetzungen nicht gefehlt. Mathematik

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1066. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/629&oldid=- (Version vom 9.3.2019)