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besondere praktische Aufgabe zugeschnitten sein kann, daß der Studierende vor allem um der theoretischen Befriedigung willen, aber auch um sich zukünftige praktische Verwendbarkeit nach verschiedenen Richtungen zu sichern, auf eine gewisse Vielseitigkeit des geistigen Interesses nicht verzichten sollte, und daß es, selbst wenn die fachliche Teilung sehr weit getrieben würde, doch nicht möglich wäre, sich auf eine besondere praktische Aufgabe, wie sie der Staatsdienst oder die Industrie stellt, ohne diese besondere Praxis auf der Hochschule allein einzuarbeiten. So ist denn das Ergebnis vielfacher Erwägungen, daß es bei der alten Verteilung der technischen Hochschulen blieb, und entweder diesen vier Abteilungen die neu erforderlichen Studienzweige angegliedert wurden oder nur bei den Prüfungen eine beschränkte Wahlfreiheit der Prüfungsfächer den Studierenden zusteht.

Umgestaltung der Unterrichtsmittel. Technische Laboratorien.

Aber auch der technischen Dingen Fernerstehende erkennt, welche mannigfache Umarbeitung in den vorhandenen Unterrichtsmitteln und Unterrichtskräften erforderlich war, um den andrängenden neuen Aufgaben gewachsen zu bleiben. Was ist in diesen 25 Jahren nicht umgestaltet worden in der deutschen Technik und demgemäß in den technischen Hochschulen! Der Hochbau stand unter dem Einflusse eines neuen künstlerischen Strebens, eine neue Baukunst mit neuen Baustoffen und neuen, von Volkskunde und Heimatkunst genährten, ästhetischen Anschauungen verdrängte mit fast jugendlichem Ungestüm den Baustil der vergangenen Jahrzehnte. Der Ingenieurbau stand auf der ganzen Linie des Wasser-, Straßen-, Brücken-, städtischen Tiefbaues unter dem Zeichen des Betons, ebenso wie des beispiellos gestiegenen öffentlichen Verkehrs neuen Aufgaben gegenüber. Das Maschinenwesen gestaltete seine Betriebsweise um unter dem Einflusse der elektrischen Kraftübertragung; erhöhte Präzision und gesteigerte Wirkungsgrade wurden von ihm gefordert, neue Motoren, Werkzeuge und Werkzeugmaschinen drängten sich heran. Die technische Chemie wurde tief innerlich durch die wissenschaftliche Entwickelung der physikalischen Chemie und die Elektrotechnik umgestaltet, und wie die anderen Zweige der Technik alle vom Wettstreit mit dem Auslande vor immer neue und technisch wie wirtschaftlich verfeinerte Aufgaben gestellt, galt es doch vor allem auf diesem Gebiete Deutschlands Weltstellung zu wahren.

Am auffälligsten tritt diese innere, den praktischen Aufgaben folgende Umgestaltung des Hochschulbetriebes äußerlich hervor in den Neubauten für technische Laboratorien, die während der letzten 25 Jahre sich finanziell recht merklich machten. Vor 25 Jahren sah eine technische Hochschule rein äußerlich anders aus wie heute, sie stellte sich als ein Studiengebäude dar, neben dem allenfalls noch, meist als nachträgliche Erweiterungen, ein paar Gebäude für die chemischen Laboratorien und das physikalische Institut errichtet worden waren. Heute ist eine technische Hochschule eine Gesamtheit von Gebäuden, die, sehr verschiedenen Zwecken dienend, sehr verschieden ausgestaltet werden mußten. Da ist ein elektrotechnisches, ein elektrochemisches Institut zu den alten Anlagen hinzugekommen, Maschinenlaboratorien verschiedener Art, Institute für Prüfung

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1069. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/632&oldid=- (Version vom 9.3.2019)