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sollten auf diesem Wege die Gelegenheit finden, durch technische Anregungen hindurchgehend, den Sinn für praktische Gesichtspunkte zu gewinnen. Auch mag wohl denen, die nicht allein im Interesse der Lehrerbildung, sondern zur Förderung der Allgemeinbildung aller Studierenden für die Gründung philosophischer und geschichtlicher, volkswirtschaftlicher und rechtlicher Professuren an den technischen Hochschulen eintraten, der – freilich bisher nur mäßig erfüllte – Wunsch vorgeschwebt haben, daß nun auch der Strom technischer Kultur rückwirkend auf die Bahnen der alten Geisteswissenschaften seine induzierende Kraft äußern möchte.

Diese Bestrebungen, die lange Zeit mit bekannten Bedenken zu kämpfen hatten, haben sich vor etwa zehn Jahren allgemein durchgesetzt, insofern in allen Staaten bei der Prüfung für das höhere Schulamt eine bestimmte Zahl an technischen Hochschulen verbrachte Semester auf die erforderliche akademische Studienzeit angerechnet werden, z. B. in Preußen drei, in Württemberg sechs Semester. Aber Bayern und Sachsen sind auf diesem Wege weiter vorgeschritten. In den technischen Hochschulen dieser Staaten kann das gesamte Studium bestimmter realistischer Fächer für das höhere Lehramt schon seit langer Zeit durchgeführt werden. Bayern hat sogar seinen Doktor der technischen Wissenschaften von Anfang an nicht allein den technischen Fachabteilungen, sondern auch der für das Lehramt vorbildenden allgemeinen Abteilung verliehen, während in Sachsen erst seit 1912 dieser Titel an der allgemeinen Abteilung der Dresdener Hochschule erworben werden kann. Auch in diesen Fortschritten prägt sich derselbe Gedanke aus, der der gesamten Entwickelung der technischen Hochschulen in den letzten 25 Jahren eigen ist, die Überzeugung von dem Werte wissenschaftlicher Technik für unsere gesamte Kultur. Kennzeichnend ist in dieser Hinsicht eine Wendung, die noch kurz vor 1900 sich Geltung zu verschaffen suchte. Damals ist gelegentlich das tönende Wort geprägt worden, die technischen Hochschulen möchten für das Gros der Techniker sorgen, die wissenschaftlichen Führer aber, die Offiziere der Technik, sollten an den Universitäten ausgebildet werden. Die seitdem verflossene Zeit hat dafür gesorgt, daß wohl auch auf der Seite derer, von denen dies Wort stammt, kein Zweifel mehr darüber besteht: Die technischen Hochschulen werden die Offiziere der Technik selbst ausbilden, oder sie werden ihren Hochschulanspruch preisgeben. In der Festigung dieser Ansprüche technischer Kultur unseres Volkes haben sich bei aller Verschiedenheit im einzelnen alle die in zahlreichen Tagungen und Beschlüssen einig erwiesen, denen die Entwicklung der Technik obliegt, die Hochschulprofessoren ebenso wie die einstigen und die jungen Studierenden, allen voran die mächtigen Vereine der deutschen Ingenieure und Architekten.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1071. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/634&oldid=- (Version vom 9.3.2019)