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verschiedener Bildungstypen gab der Monarch entschlossenen Ausdruck. Aber in der Versammlung, deren Mitglieder durch das Ministerium wohl nicht ganz im Sinne des Allerhöchsten Auftrags ausgewählt waren, überwog allzusehr ein konservativer Zug, der Wunsch, das Bestehende auch in den Einrichtungen zu erhalten. So wurde im einzelnen zwar manches gebessert; im ganzen aber bedeuteten die Beschlüsse der Konferenz und die auf deren Grundlage ausgearbeiteten Bestimmungen von 1891 doch nur einen weiteren Schritt auf der bisher schon begangenen Bahn, einen abermaligen Versuch, immer noch alles, was gelernt werden sollte, in einem einzigen Lehrplan unterzubringen. Den beiden realistischen Anstalten wurden die wichtigsten Berechtigungen auch diesmal versagt; dem Gymnasium blieb seine äußere Vorzugsstellung noch gewahrt, dafür wurde es im Innern dem Realgymnasium wieder um einiges ähnlicher gemacht, also in seiner Eigenart, seinem Lebensnerv geschwächt.

Die Grenzen des Einjährigenrechtes.

Und nicht nur verschiedene Arten, sondern auch verschiedene Stufen der Bildung wurden aufs neue und mit verschärfter Wirkung in eins zusammengedrängt. Seit der ersten umfassenden Organisation des höheren Schulwesens in Preußen (1809/10) hatte der Grundsatz gegolten, daß die Vorbildung für praktische Berufe nicht ein selbständiger Zweck sei neben der Vorbereitung auf gelehrte Studien, sondern daß der künftige Kaufmann oder Gewerbetreibende oder mittlere Beamte sich begnügen müsse, einen Teil jenes allgemeinen, weiter hinaufreichenden Bildungsganges, bis zu dieser oder jener Klassenstufe, durchzumachen. So war es mehr und mehr dahin gekommen, daß den „Vollanstalten“ in Masse auch solche Schüler zuströmten, die gar nicht daran dachten das Reifezeugnis zu erlangen, sondern von vornherein bloß den Wunsch hatten, mit irgend einer bescheidneren Berechtigung, in der Regel mit der für den einjährigen Militärdienst, abzugehen. Bei einer Aufnahme des Tatbestandes für das Schuljahr 1889/90 stellte sich heraus, daß auf je 200 Schüler, die von neunklassigen höheren Schulen abgegangen waren, nur 41 kamen, die das Ziel ihrer Anstalt erreicht hatten; und doch war auf dieses Ziel hin der ganze Lehrgang angelegt. Es erschien unbillig, daß unter der Fürsorge für ein Fünftel der Schüler alle übrigen zu leiden hätten; nun wollte man zum Schutze der Mehrheit eingreifen. Zunächst wurde an den unvollständigen Anstalten, die bis zur Versetzung nach Prima geführt hatten, die oberste Klasse eingezogen, so daß sie mit Untersekunda und mit Erlangung des Einjährigenzeugnisses abschlossen. Auf dieses Ziel hin wurde ihr Lehrplan eingerichtet, und dieser Lehrplan fortan für die entsprechende Klassenreihe auch bei den Vollanstalten zu grundegelegt, – die doch ihre eigene Aufgabe nur dann recht erfüllen konnten, wenn es ihnen möglich war, durchweg in der Erziehung der Geisteskräfte einen frühen Anfang auf das späte Ende zu richten. Unter der Rücksicht auf die Mehrzahl mochte nun die Minderheit leiden; das waren aber gerade diejenigen Jünglinge und Knaben, die zu künftigen Führern der Nation erzogen werden sollten.

Die Lehrer

Der Gefahr, die durch solche Maßregeln unleugbar heraufbeschworen war, konnte nur durch unermüdliche, aufopfernde Tätigkeit der Lehrer

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1086. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/649&oldid=- (Version vom 31.7.2018)