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obwohl sie darin nichts lernen können, in ähnlicher Weise geregelt wird. Die schwachbegabten Kinder erfahren in der Volksschule seit etwa zwei Jahrzehnten besondere Rücksicht. Zwar ist dies geschehen, seitdem Pestalozzis Ideen dank der Förderung, die ihnen vom preußischen Throne aus zuteil geworden ist, in die preußischen Volksschulen eingezogen sind. Neuerdings aber wird darauf gehalten, daß die schwächeren Kinder nicht zu lange auf den unteren Stufen verharren, sondern in die höheren aufsteigen, in denen sie doch wenigstens einiges von dem erlernen können, das zu wissen und zu können im Leben unentbehrlich ist. In den größeren Städten werden besondere Abschlußklassen für schwachbegabte Kinder gebildet, in denen zwar die Ziele der Volksschule nicht erreicht werden, aber doch ein gewisser Abschluß der Bildung für das praktische Leben vermittelt wird. Die ganz schwachen Kinder werden in Hilfsschulen vereinigt; bei ihrer Aufnahme muß ein Arzt mitwirken. Und diese Hilfsschulen sind bevorzugt, indem die trefflichsten Lehrer für sie ausgesucht werden, denen sogar eine besondere Amtszulage gewährt werden kann.

Fürsorgeerziehung.

Der Geist, der die Jugenderziehung in der Zeit Kaiser Wilhelms II. beherrscht, spricht sich darin aus, daß die frühere Zwangserziehung durch die Fürsorgeerziehung (1900) ersetzt ist. Sie wendet sich nicht mehr allein den Minderjährigen zu, welche eine strafbare Handlung begangen haben, sondern auch denen, welche durch schuldhaftes Verhalten der Eltern und selbst auch ohne solches Verschulden der Gefahr der Verwahrlosung unterliegen. Sie erfolgt auf öffentliche Kosten und unter öffentlicher Aufsicht, wobei häufigere Revisionen vorgesehen sind, als bei den normalen Schuleinrichtungen. Um die Kinder vor Ausbeutung zu schützen, ist das Kinderschutzgesetz (1903) erlassen, das die fremden Kinder besser stellt als die eigenen und so der Familie noch einen kleinen Einfluß auf die Beschäftigung der Kinder läßt. Schon vorher waren unter der Regierungszeit Wilhelms II. die Fabrikschulen beseitigt worden, in denen die in einer Fabrik beschäftigten Kinder zu oft ungünstigen Tageszeiten und in kürzerer, als der normalen Wochenstundenzahl unterrichtet wurden. Vom 1. Januar 1904 ab dürfen Kinder unter 13 Jahren in einer Anzahl schwer arbeitender, gefährlicher oder sonst ungeeigneter Betriebe überhaupt nicht mehr beschäftigt werden; im übrigen wurde ihre Beschäftigung nach Umfang und Inhalt geregelt. Auch auf die Heimarbeit erstrecken sich die Schutzbestimmungen und sichern den Kindern die Erlangung der allgemeinen Volkschulbildung.

Schulzucht.

Die Schulzucht ist milder geworden; wenn auch die körperlichen Strafen in der Volksschule nicht völlig entbehrt werden können, so hat sich doch die Erkenntnis mehr und mehr Bahn gebrochen, daß sie nur gegenüber Böswilligkeit und Roheit zur Anwendung zu kommen haben. Um den Lehrer vor Voreiligkeit zu warnen und um nachträglich eine Kontrolle zu ermöglichen, ist die Vorschrift getroffen, daß alle körperlichen Züchtigungen in ein besonderes Verzeichnis einzutragen sind (1900). Die gesetzliche Einrichtung von Jugendgerichten ist im Werke; aber schon vorher hat die preußische Justizverwaltung im Rahmen der geltenden Gesetze Maßnahmen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/667&oldid=- (Version vom 31.7.2018)