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Kursen zu sammeln; aber der Versuch mißglückte meist, weil gerade diejenigen Mädchen, welchen man helfen wollte, bereits in diesem Alter gezwungen waren, dem Erwerbe nachzugehen. So blieb nur übrig, in der Zeit der Volksschulpflicht an sie heranzutreten. Und nun wurden die Mädchen des letzten, auch des vorletzten Schuljahres in Schulküchen gestellt, erst in künstlicher Angliederung an die Volksschule, außerhalb der regelmäßigen Schulzeit. Der erste Widerstand der Schulbehörden war bald besserer Einsicht und freudiger Förderung gewichen. Es zeigte sich, daß der hauswirtschaftliche Unterricht sehr wohl dem Volksschulunterricht eingegliedert werden kann und daß er einen höheren erziehlichen Wert besitzt, als manche der reinen Wissensfächer. Heute ist der hauswirtschaftliche Unterricht da, wo er überhaupt eingeführt ist, dem Schulpflichtunterricht gleichgestellt und in den Lehrplan der Volksschule eingegliedert. Seine segensreiche Wirksamkeit ist überall anerkannt; die großen Kosten der ersten Einrichtung und der Unterhalt der Schulküchen, in denen übrigens auch andere Hausarbeit außer dem Kochen gelehrt wird, haben es bisher noch verhindert, auf die Gemeinden einen Zwang zur Einführung auszuüben. Wenn es einmal, was aber in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, zur allgemeinen Einführung der Fortbildungsschulpflicht für das weibliche Geschlecht kommen wird, dann wird der hauswirtschaftliche Unterricht vermutlich wieder der Volksschule entzogen und der Fortbildungsschule überwiesen werden.

Handarbeitsunterricht.

Die Erfolge des Handarbeitsunterrichts der Mädchen hängen, wie bei allem Unterricht, von der Güte des Lehrpersonals ab. Der Handarbeitsunterricht kann nur als Fachunterricht erteilt werden. An kleineren Schulen, auf dem Lande fast überall, sind daher nicht genug Stunden zu versorgen, um eine Lehrkraft fest anzustellen. Der Unterricht wird daher in den meisten Schulen durch Hilfskräfte erteilt, deren Leistungen viel, oft alles zu wünschen übrig lassen. Die Befürchtung Bismarcks, welche ihn zu heftigem Widerspruch gegen die Bestrebungen des Kultusministers zur Einführung pflichtmäßigen Handarbeitsunterrichts für die Mädchen im Anfang der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. veranlaßte, daß damit nur Näherinnen und Schneiderinnen großgezogen würden, hat sich nicht bestätigt. Die Schwierigkeit der Beschaffung der Lehrkräfte hat es noch nicht überall in Deutschland zur obligatorischen Durchführung des Unterrichts kommen lassen und hat die Leistungen niedergehalten. Einige kleinere deutsche Staaten, so Sachsen haben gesetzliche Einrichtungen getroffen, um die Stellung der Handarbeitslehrerinnen zu heben. Preußen steht hier noch zurück.

Handfertigkeitsunterricht.

Der Handfertigkeitsunterricht für Knaben, der fast überall allgemein erziehliche Ziele verfolgt, hat sich dank der aufklärenden Tätigkeit des Deutschen Vereins für Knabenhandarbeit in den letzten 25 Jahren über ganz Deutschland verbreitet. Der Unterricht beruht, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf Freiwilligkeit. Seine Hauptzweige sind Papparbeit, Holzarbeit, Metallarbeit und Modellieren. Verschiedene große Städte haben nach dem Vorgange von Osnabrück musterhafte Einrichtungen geschaffen. Als besonders wertvoll ist der Unterricht für die Hilfsschule erkannt worden. Das Handwerk erhofft von der

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/671&oldid=- (Version vom 31.7.2018)