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Die Sozialpolitik des Reichskanzlers schloß aber das Schulgeld in jeder Form aus, indem sie von dem Gedanken ausging, daß es vornehmlich den armen Mann bedrücke. Nachdem Bismarck 1881 im preußischen Abgeordnetenhause das Schulgeld für eine der drückendsten Abgaben erklärt hatte, deren Abschaffung er als eine außerordentliche Wohltat für das ganze Land ansehen würde, brachte der Kultusminister seine Entschließung zum Ausdruck, daß die Beseitigung resp. die Ermäßigung des Volksschulgeldes, welches eine gesetzmäßige Einrichtung eigentlich nicht mehr sei, anzustreben sei. Freilich hat es noch sieben Jahre gedauert, bis es zu der Bestimmung des Gesetzes von 1888 kam, wonach die Erhebung eines Schulgeldes bei den Volksschulen fortan, mit zwei Ausnahmen, nicht mehr stattzufinden habe. Die eine betrifft das Fremdenschulgeld, das für Beschulung in einer Gemeinde zu zahlen ist, in der die Kinder nicht einheimisch sind, und ist völlig gerechtfertigt, auch im Volksschulunterhaltungsgesetz (1906) beibehalten. Die andere aber gestattete die Forterhaltung des Schulgeldes noch soweit, als das damals bestehende Schulgeld durch den durch dasselbe Gesetz den Schulunterhaltungspflichtigen gewährten Staatsbeitrag nicht gedeckt würde und andernfalls eine erhebliche Vermehrung der Kommunal- und Schulabgaben eintreten würde. Das darnach einstweilen überhaupt noch zulässige Schulgeld war in Landschulen mit Genehmigung des Kreisausschusses, in Stadtschulen des Bezirksausschusses festzustellen. Die Anschauungen in diesen Kreisen waren aber noch so wenig von den sozialen Ideen der Staatsregierung beeinflußt, daß es in zahlreichen Fällen zu gesetzwidriger Erhebung von Schulgeld kam, so daß ernstliches Einschreiten des Ministers und ein neues Gesetz von 1889 nötig waren, um die Schulgelderhebung zu beseitigen. Es mag sein, daß noch bis zum Volksschulunterhaltungsgesetz an vereinzelten Orten Schulgeld erhoben worden ist. Mit dem wachsenden Staatsbeitrag ist es gänzlich verschwunden. Neben dem Fremdenschulgeld ist das Gastschulgeld aufgetreten, das aber weder von den Schulvätern zu zahlen ist, noch ein Kopfschulgeld zu sein braucht, sondern ein Entgelt darstellt, das ein Schulverband an einen andern für die Beschulung von Kindern aus dem ersteren im zweiten zahlt. Außerdem ist noch die Zahlung von Schulgeld für den Unterricht in gehobenen Schulabteilungen, in denen höhere Ziele als in der gewöhnlichen Volksschule verfolgt werden, zur Erhaltung dieser Abteilungen gestattet worden. Vor der Unentgeltlichkeit der Lehrmittel, die in einigen außerdeutschen Staaten, so in einigen Schweizer Kantonen, als eine Folge der Unentgeltlichkeit des Volksschulunterrichts gilt, hat der preußische Staat noch Halt gemacht; sie enthielte eine Einladung zur Verschwendung öffentlicher Mittel. Aber es ist nicht zu leugnen, daß jetzt für die Beschaffung von Lehrmitteln für die Kinder unvermögender Eltern noch nicht in genügender Weise gesorgt ist.

Erleichterung der Schulunterhaltung.

Nach der preußischen Verfassung sind die Mittel zur Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen von den Gemeinden und im Falle des nachgewiesenen Unvermögens ergänzungsweise vom Staate aufzubringen. Der Staat hat den Gemeinden auf doppelte Weise die Tragung der Volksschullasten erleichtert, erstens durch Bildung gemeinsamer Kassen für bestimmte Zwecke zur Übertragung der Kosten auf

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/677&oldid=- (Version vom 31.7.2018)