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Mittelschulen erwünscht erscheinen, ihren Abgänglingen die mit diesem Zeugnis verbundenen Berechtigungen zu verschaffen. Das kann nun freilich, solange die bisherigen Grundsätze über die Qualifikation des Lehrpersonals derjenigen Anstalten, denen die Einjährig-Freiwilligen-Berechtigung gewährt werden darf, in Geltung bleiben, der Mittelschule nicht zugestanden werden. Aber mit Genehmigung Kaiser Wilhelms II. ist den Mittelschulen doch ein weitgehendes Entgegenkommen bewiesen worden, indem durch Abänderung einer Bestimmung der Wehrordnung (1912) jetzt die Möglichkeit geschaffen ist, daß Schüler der Mittelschulen, sofern sie diese unter Beteiligung am Unterricht in einer zweiten Fremdsprache erfolgreich durchgemacht haben, unmittelbar darnach zur Kommissionsprüfung für den Einjährig-Freiwilligendienst zugelassen werden können. Die genossene Ausbildung aber befähigt sie, diese Prüfung zu bestehen. Freilich ist damit der Übelstand verbunden, daß in der Mittelschule eine zweite Fremdsprache als Wahlfach betrieben werden muß und weiter, daß deswegen als Pflichtfach die schwerere französische Sprache an Stelle der sonst zu bevorzugenden englischen in der Regel genommen werden muß. Die rechtlichen Verhältnisse der preußischen Mittelschulen und ihrer Lehrer bedürfen dringend der Regelung. Die Vorbereitung auf die Mittelschullehrerprüfung, die bisher meistens auf Selbstvorbildung beruhte, wird neuerdings durch eigens dafür eingerichtete Kurse in größeren Städten erleichtert. Noch immer fehlt es an der nötigen Zahl von Mittelschullehrern in den kleineren und mittleren Städten.

Die „mittleren“ Mädchenschulen sind von ganz verschiedener Art; teils sind es Mittelschulen, teils höhere Mädchenschulen, denen wegen ihrer unvollkommenen Einrichtung die Anerkennung als Lyzeum fehlt. Die Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens von 1908 hat hier zunächst unklare Zustände herbeigeführt, unter denn die kleineren Städte leiden.

Fortbildungsschulen.

Die Entwicklung des Fortbildungsschulwesens ist in den süddeutschen Staaten und in Preußen eine ganz verschiedene gewesen. In Süddeutschland ist es aus der Sonn- und Feiertagsschule der Knaben und Mädchen erwachsen und hatte zuerst die Aufgabe, die in der Werktagsschule unvollendet gebliebenen Kenntnisse zu ergänzen, zur Anwendung des Erlernten im Berufe anzuleiten, auch die religiöse Ausbildung zu fördern. Hier standen die Ziele der allgemeinen Fortbildungsschule im Vordergrunde. In Preußen ist das Fortbildungsschulwesen aus den Bedürfnissen des Gewerbes nach schulmäßiger Ausbildung der Lehrlinge, für welche die Einzellehre in der Werkstatt unzureichend wurde, erwachsen. Die Entwicklung des gewerblichen Fortbildungsschulwesens wird aber aus anderer Feder eingehend behandelt werden. Hier soll nur dasjenige Fortbildungsschulwesen berührt werden, das die allgemeine Fortbildungsschule ersetzt und anbahnt. In Preußen sind das die sogenannten ländlichen Fortbildungsschulen. Sie haben zuerst den Charakter landwirtschaftlicher Fortbildungsschulen gehabt. Die preußische Staatsregierung ist ihnen zuerst in einem gemeinsamen Erlasse dreier Minister 1876 nähergetreten, in dem Grundzüge für die Einrichtung „ländlicher“ Fortbildungsschulen aufgestellt und die Kreisvertretungen aufgefordert wurden, Beträge zur Förderung solcher Schulen auszuwerfen.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/689&oldid=- (Version vom 31.7.2018)