Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/697

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

dessen Besuch Staat und Gemeinde ihn zwingen, ganz von selbst danach, ob er ihm für den erwählten Beruf erkennbaren Nutzen bringt oder nicht. Nur wenn er erkennt, daß das in der Schule Gebotene ihn beruflich fördert, wird er der erzieherischen Einwirkung des Lehrers zugänglich sein. Die fachliche Gestaltung des Unterrichts steht somit nicht im Widerspruch zu den erzieherischen Aufgaben der Schule, sondern bildet vielmehr für deren Erfüllung die unentbehrliche Voraussetzung. Ganz in Übereinstimmung hiermit sagen die neuen Bestimmungen des preußischen Handelsministers (vom 1. Juli 1911) über Einrichtung und Lehrpläne der Fortbildungsschulen: „Die Pflichtfortbildungsschule hat die Aufgabe, die berufliche Ausbildung der jungen Leute zwischen 14 und 18 Jahren zu fördern und an ihrer Erziehung zu tüchtigen Staatsbürgern und Menschen mitzuwirken.“

Am Schluß der Periode von 1888 bis 1913 hebt, wenn nicht alle Zeichen trügen, für die Entwicklung der Fortbildungsschule eine neue Epoche an. Während nämlich von der Bestimmung der Gewerbeordnungs-Novelle vom Jahre 1900, wonach die als Handlungsgehilfen oder -lehrlinge beschäftigten jungen Mädchen unter 18 Jahren der statutarischen Fortbildungsschulpflicht unterworfen werden konnten, auffallend wenig Gebrauch gemacht worden ist, scheint, nachdem die Novelle von 1911 diese Beschränkung beseitigt und die Einführung der Fortbildungsschulpflicht für alle Gruppen der gewerblichen Arbeiterinnen unter 18 Jahren ermöglicht hat, das Interesse der Gemeinden für diesen Zweig des Fortbildungsschulwesens erwacht zu sein. Zu Ostern 1913 hat die Stadt Berlin die Pflichtfortbildungsschule für die jugendlichen Arbeiterinnen aller gewerblichen Berufszweige eröffnet, und eine Reihe von Gemeinden ist im Begriff, diesem Beispiel zu folgen.

Lehrpläne der gewerblichen Fortbildungsschulen.

Die gesetzlichen und die statutarischen Bestimmungen sehen im allgemeinen eine dreijährige Verpflichtung zum Besuch der Fortbildungsschule vor. Dem entspricht der die Regel bildende dreiklassige Aufbau der Fortbildungsschule. In kleineren Orten müssen allerdings der geringeren Schülerzahl wegen alle drei Jahrgänge in zwei oder sogar in einer Klasse vereint werden. Der Unterricht in der Fortbildungsschule soll, wie schon erwähnt, die Ausbildung in Werkstatt und Kontor fördern und ergänzen. Im Mittelpunkte des Lehrplans steht daher der Beruf des Schülers. Da die Schule die Praxis nicht verdrängen oder ersetzen will, beschränkt sich der Unterricht auf wenige Stunden in der Woche; in der Regel sind es sechs, seltener acht oder mehr, und bei den ungelernten Arbeitern häufig sogar nur vier Stunden wöchentlich, die die jungen Leute der Fortbildungsschule angehören. Innerhalb dieser geringen Unterrichtszeit aber soll die Schule bieten was möglich ist, um die Schüler beruflich zu fördern. Bei der gewerblichen Fortbildungsschule für die einem gelernten Beruf angehörigen Schüler steht daher in erster Linie die Einführung in die Fachkunde. Die Arbeitsvorgänge, die dem Schüler aus der Werkstatt vertraut sind, die Rohmaterialien, die Werkzeuge und Maschinen, mit denen er arbeitet, werden ihm zu tieferem Verständnis gebracht, um ihn

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/697&oldid=- (Version vom 20.8.2021)