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Arbeiterin und als künftige Gattin und Mutter Rechnung trägt. Die Frage des Lehrplans löst sich verhältnismäßig am leichtesten für die Klassen der ungelernten Arbeiterinnen; hier kann dem hauswirtschaftlichen Unterricht neben der Lebenskunde ohne weiteres der größte Platz eingeräumt werden. Bei den übrigen Gruppen, also den gelernten weiblichen Arbeiterinnen, den Kontoristinnen und den Verkäuferinnen, bleibt, wenn es nicht möglich ist, die Zahl der Unterrichtsstunden zu vermehren, nichts anderes übrig, als den fachlichen Unterricht soweit einzuschränken, daß etwa ein Viertel der Unterrichtszeit dem hauswirtschaftlichen Unterricht gewidmet werden kann. Dies ist auch der Standpunkt, den der preußische Handelsminister der erwähnten Streitfrage gegenüber eingenommen hat.

Fachschulen.

Früher als das Fortbildungsschulwesen ist das Fachschulwesen für die weibliche Jugend zur Entwickelung gelangt. Es entsprach nach dem Gesagten und einem Gebote der Gerechtigkeit, daß der Frau die Pforten derjenigen Fachschulen geöffnet würden, die für ihre Erwerbstätigkeit in Betracht kommen. So haben Frauen Zutritt zu den Kursen der Kunstgewerbeschulen und der Textilfachschulen, und sie finden dort auch besondere Klassen zur Pflege der weiblichen Kunsthandarbeiten und der Konfektion. Außerdem aber sind – und das gilt in besonderem Maße von den letzten 25 Jahren – besondere Fachschulen für die weibliche Jugend errichtet worden. Zum Teil dienen sie der Pflege einzelner Zweige der weiblichen Kunstfertigkeit, wie Stickschulen, Spitzenklöppelschulen, Handschuh- und Kravattennähschulen. Indes haben diese Schulen, so wertvoll sie im einzelnen sind, zumeist mehr örtliche Bedeutung. Von sehr viel weiter reichender Wirksamkeit sind die zahlreichen und immer noch einer weiteren Vermehrung bedürftigen Gewerbe- und Haushaltungsschulen. Sie verdanken ihre Entstehung der Wirksamkeit weitblickender Volksfreunde (Lette) und gemeinnütziger Vereine (Vaterländischer Frauenverein), erst in den letzten Jahren haben sich der Staat und die Gemeindeverwaltungen dieser Schulen angenommen. In Preußen bestehen sogar vierstaatliche Anstalten (Posen, Potsdam, Rheydt und Thorn), von denen jedoch drei als Privatunternehmen entstanden sind. Die größeren Anstalten dieser Art umfassen (außer einer Handelsschule, siehe oben) in der Regel eine Haushaltungsschule mit einjährigem Lehrgang für Kochen, Backen und Einmachen, Waschen und Plätten, Hausarbeit, einfache Handarbeiten, Maschinennähen, Gesundheitslehre, Kinder- und Krankenpflege. Alle diese Gebiete werden in dem Umfange behandelt, in dem das junge Mädchen sie später an der eigenen Wirtschaft beherrschen muß. Eine weitere Abteilung dieser Anstalten bilden die Gewerbeschulen mit teilweise längeren Lehrgängen für einfache Handarbeit, Maschinennähen und Wäscheanfertigung, Schneidern, Putzmachen, Waschen und Plätten, Kochen und Backen, Kunsthandarbeiten, Zeichnen und Malen, in denen die Schülerinnen so weit gefördert werden, daß sie zur gewerblichen Betätigung auf dem erwählten Gebiet befähigt sind. Einzelne dieser Anstalten sind mit Pensionaten und mit Seminaren sowohl für Handarbeits- und Hauswirtschaftslehrerinnen wie für Gewerbeschullehrerinnen verbunden.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/706&oldid=- (Version vom 20.8.2021)